«Detaillierte Landschaftsbeschreibungen sind mühsam»: John Alec Bakers Text öffnet sich knarrend, fast widerwillig, wie ein schlecht geöltes Gartentor. Er erspart dem Leser weder den Regen und Nebel im ostenglischen Essex, wo die Küstenlandschaft seiner Erzählung liegt, noch das Licht über der Flussmündung oder die flachen Hügel. Auch nicht das flache Wattenmeer oder die Obstgärten, wo er auf der Lauer liegt, um sein Lieblingstier aufzuspüren: den Wanderfalken.
Zehn Jahre lang hat Baker die Vögel beobachtet, zu Fuss oder per Fahrrad unterwegs auf den Deichen am Wattenmeer, über die Felder, am Waldrand oder in den Obstgärten. Viel belebte Landschaft ist in dem Buch eingefangen. Mit Warnrufen und ihrem Verhalten zeigen die Vögel dem fanatischen Falkensucher die Gegenwart ihres Feindes an. Der Wanderfalke kommt im Herbst aus Skandinavien an die englische Küste, im Gefolge der Zugvögel – seiner Nahrung: Kiebitze, Regenpfeifer, Stare, Möven, Drosseln.
Sprachliche Verschmelzung mit dem Wandervogel
Aus 10 Jahren der Beobachtung hat der Autor ein halbes Jahr stimmungsvoller, höchst präziser Tagebucheinträge kondensiert. Im Oktober setzen sie ein, im darauffolgenden April endet das Wanderfalkenbuch. Im Lauf der Monate, die der Beobachter seinem flüchtigen, unberechenbaren Gegenüber auf der Spur ist, kommt er ihm immer näher, ja er verschmilzt sprachlich beinahe mit dem Greifvogel. So beugt er sich über die Reste eines toten Singvogels, den der Falke erjagte:
«Unbewusst imitierte ich die Bewegungen des Falken, wie in einem archaischen Ritual; der Jäger, der sich in seine Beute verwandelt. (…) In diesen Tagen im Freien leben wir dasselbe rauschhafte, angsterfüllte Leben. Wir meiden die Menschen. Wir hassen ihre plötzlich erhobenen Arme, ihr wirres Gefuchtel, ihren unsteten, scherenden Gang, ihre stolpernd ziellose Art, ihre grabsteinweissen Gesichter.»
Leidenschaftlicher Abgesang auf aussterbende Greifvögel
J. A. Bakers Buch ist durchzogen von einer tiefen Einsamkeit. Einer Abneigung, besonders gegenüber der Landwirtschaft, die mit ihren Pestiziden dazu beiträgt, die Greifvögel auszurotten. Das Buch ist 1967 auf Englisch erschienen und wurde mit dem Duff Cooper Prize ausgezeichnet, nur ein weiteres hat Baker danach veröffentlicht. Er lebte als Bibliothekar in Ostengland. In den 1960er-Jahren waren die Wanderfalken tatsächlich vom Aussterben bedroht.
Die Liebe zu den verschwindenden Zeugen einer wahrhaft wilden Natur, den unbarmherzig eleganten Todesboten im Sturzflug, inspiriert Baker zu Prosaminiaturen, die auch einem zweiten und dritten Lesen standhalten. Gelegentlich nimmt er die Flugperspektive des Raubvogels ein, schildert die Landschaft von oben.
Todesbote und Gefährte der Einsamkeit
Der «Suspense» liegt, fernab jeder oberflächlichen Handlung, in der genauen Beobachtung, der meditativen Begegnung mit dem animalischen Gegenüber. Etwa dann, wenn der Mensch in Sichtweite des Falken verharrrt, unbeweglich, ohne sich zu verbergen:
«Nach zwei Minuten unbehaglichen Starrens flog er genau auf mich zu, als wollte er mich angreifen. Doch noch bevor er mich erreichte, steilte er in den Wind, stand rüttelnd fünf Meter über meinem Kopf in der Luft und schaute herab. Eine Maus musste sich genauso fühlen wie ich jetzt, wenn sie ungeschützt im Gras kauerte, zitternd und bangend. Das scharfklingige Gesicht des Falken schien furchterregend nah.»
Nicht allein der Flug des Falken ist für Baker Anlass zu sprachschöpferischer Variation. Die Vogelschwärme, Wind und Wolken, das Licht in der Landschaft fängt er auf eine Art ein, die den Leser gefangen nimmt. Und Schritt für Schritt, fast unmerklich, verwandelt sich der Wanderfalke in ein beinahe magisches Wesen – unberechenbarer Todesbote ebenso wie bewunderter Gefährte der Einsamkeit.
Sendung: «Kultur kompakt», 3.7.2014 auf Radio SRF 2 Kultur