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Lebensgefährlich: Isaak Babel interessierte sich zu Stalins Zeit für den Bolschewismus.
Legende: Lebensgefährlich: Isaak Babel interessierte sich zu Stalins Zeit für den Bolschewismus. Wikimedia/Boris Kustodiev

Literatur Isaak Babels Geschichten über ein enges und rohes Russland

Der schonungslose Chronist des vorrevolutionären Russlands wird nochmal zum Klassiker geadelt. Völlig zu Recht. Bettina Kaibach hat die Erzählungen so geschmeidig übersetzt, dass die Modernität des Autors in neuem Glanz erstrahlt.

Isaak Babel erzählt von Kindern, denen massives Unrecht widerfährt. Er stellt die Tragik des Kriegs in voller Härte dar. Aber er kann auch mit leichter Hand Alltagsszenen des Stadt- und Landlebens von rechtschaffenen Bürgern und hemmungslosen Frechdachsen kreieren.

Am verstörendsten schrieb er aber in der Langerzählung «Mein Taubenschlag» über Judenpogrome im Jahre 1905, die er als Junge in Odessa miterleben musste. Die Zusammenstellung wirkt wie ein Coming of Age-Roman. Man ist Zeuge, wie einer heranwächst, kompromisslos Künstler werden will, wie er das Erwachen der Liebe meistert. Und die Herausforderungen des Lebens annimmt.

Mann mit Brille und kurzen Haaren.
Legende: Isaak Babel bekannte sich zu seiner politischen Haltung und wurde dafür ermordet. Wikimedia

Hoffnungsvoller Beginn – tödliches Ende

Isaak Babels Leben war recht unauffällig. 1894 wurde er in Odessa geboren. Er lebte in ständiger Geldnot und ohne festen Wohnsitz zwischen Odessa, Tiflis, St. Petersburg und Moskau. Er übersetzte, schrieb Drehbücher und war Korrektor.

Babel wollte sich als Sohn eines orthodoxen jüdischen Kaufmanns in Odessa gegen die Diskriminierungen der Angehörigen seiner Religion wenden. Ausserdem wollte er sein Interesse bekunden am aufkommenden Bolschewismus. Das nahm ein böses Ende. 1940 wurde er im berüchtigten Moskauer Lubjanka-Gefängnis des sowjetischen Geheimdiensts im Zuge der stalinistischen «Säuberungen» ermordet.

Klima der Angst

Die Titelerzählung ist ein dramaturgisches Meisterwerk: «Die Geschichte meines Taubenschlags» ist ein Stakkato. Der jugendliche Erzähler konfrontiert uns scheinbar argwöhnisch mit seinem damaligen Wunsch nach ein paar Tauben. Im zweiten Schritt wird sein diskriminierender Zugang zum Gymnasium beleuchtet. Nichtsahnend geraten wir schliesslich auf dem Kulminationspunkt der Geschichte in ein Pogrom.

Buchhinweis

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Isaak Babel: «Mein Taubenschlag – sämtliche Erzählungen», herausgegeben von Urs Heftrich und Bettina Kaibach, Hanser Verlag, 2014.

Ein Invalider schlägt den Jungen nieder und tötet dessen wertvollstes Gut, die eben erworbenen Tauben: «Ich lag auf der Erde, und die Innereien des zerquetschten Vogels liefen mir die Schläfe hinab. Sie wanden sich meine Wangen entlang, besudelten mich und machten mich blind. Zartes Taubengedärm kroch über meine Stirn, und ich schloss das letzte unverklebte Auge, um die Welt nicht zu sehen, die sich vor mir ausbreitete. Eng und schrecklich war diese Welt.»

Bei diesem Pogrom – das Wort fällt als allerletztes – wurde ein Onkel des Jungen getötet. Babel kleidet den Antisemitismus aber auch ganz anders ein. Er ortet ihn in der Phantasie, der Vorstellung des jüdischen Vaters des Jungen. Der Vater glaubte nämlich, «ein bösartiges Schicksal lenke sein Leben, ein unerklärliches Wesen, das ihn verfolgte und ihm in allem unähnlich war.»

Berückende Vielfalt

Die Bandbreite des Babelschen Werks ist bestechend. Zu den Kindheitserzählungen und den Geschichten über den zeitgenössischen Alltag der jungen Sowjetunion gesellt sich Babels berühmter Bericht vom Feldzug des russischen Generals Budjonny 1920 gegen polnische Truppen. Babel war in diesem Krieg Augenzeuge und Zeitungsberichterstatter. Diese Erfahrung gipfelte im Meisterstück «Die Reiterarmee». Dieses Juwel ist in der bewährten Übersetzung von Peter Urban ebenfalls in diesen neuen Prachtband aufgenommen worden.

Babels Erzählungen über eine Gesellschaft von empörender Rohheit können auch ins Gegenteil kippen, in Augenblicke kleinen oder grösseren Glücks. Wie im Falle des Jungen, der seine langersehnten Tauben erhält. Wir verdanken Isaak Babel unvergessliche Szenen. Als Kino im Kopf leben sie weiter.

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