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Literatur Joël Dicker: Ein Schweizer erobert die Welt

Er war der Shootingstar im vergangenen Bücherherbst in Frankreich – und ist nun dabei, mit seinem Roman «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» international Karriere zu machen: Jungautor Joël Dicker aus Genf. Sein Erfolg ist ein Phänomen, wie es die Schweizer Literatur wohl noch nie erlebt hat.

Die bangen Tage des Wartens im Juni 2012 wird Joël Dicker ein Leben lang nicht vergessen. Sein Verleger, Bernard de Fallois, der im Januar bereits Dickers Erstling «Les derniers jours de nos pères» publiziert hatte, fragte ihn ein paar Monate später beiläufig, ob er denn schon ein neues Projekt ins Auge gefasst habe. Ja, meinte der Genfer etwas verlegen, bereits seit drei Jahren arbeite er an einem amerikanischen Roman und stehe kurz vor dem Abschluss. «Geben Sie mir das Manuskript», bat de Fallois, «ich möchte es mir ansehen».

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Joël Dicker machte sich wenig Hoffnung: «Ich war überzeugt, dass er den Text ablehnt», erinnert sich der junge Genfer im Gespräch: «Immerhin gehört Bernard de Fallois zu den wichtigen Intellektuellen im Land; er geniesst als Verleger hohes Ansehen und würde wohl kaum Gefallen finden an einem dicken Schmöker.»

Doch Dicker sollte sich irren. Der 87-jährige Franzose war vom Manuskript derart begeistert, dass er es sofort publizieren wollte. Er war sich sicher: «La vérité sur l’affaire Harry Quebert» hat das Zeug zum ganz grossen Erfolg.

Mord an einem Mädchen

Joël Dickers Roman ist eine bunte Mischung aus Krimi, Liebesgeschichte und Gesellschaftsstudie. Und es ist auch ein Roman im Roman. Im Garten des prominenten Schriftstellers Harry Quebert werden die sterblichen Überreste von Nola gefunden, einem 15-jährigen Mädchen, das seit 33 Jahren als vermisst gilt.

Harry wird als Hauptverdächtiger festgenommen, hat er doch just in seinem eigenen Roman von einer schwärmerischen Liebe zwischen einer Lolita und einem mittelalterlichen Mann geschrieben.

Nur sein ehemaliger Student, Marcus Goldman, mittlerweile ebenfalls ein arrivierter Autor, glaubt noch an seine Unschuld und stellt eigene Ermittlungen an. Dabei gerät er immer tiefer in ein Netz von Intrigen und dubiosen Machenschaften – und lernt das wahre Gesicht amerikanischer Kleinbürgerlichkeit kennen.

Mit Witz und Tempo

Abgründig – und auch mit viel Witz und Tempo – treibt der 27-jährige Dicker die süffige Geschichte vorwärts, jongliert geschickt auf verschiedenen Erzählebenen und überrascht immer wieder mit neuen Wendungen.

Er habe das Buch verschlungen, sei quasi nicht ins Bett gekommen, schwärmt sein Verleger Bernard de Fallois: «Die Lektüre hat mich an die Romane von Alexander Dumas und Jules Verne erinnert, die ich in meiner Jugend so gerne gelesen habe.»

Allzu lange sei dieses Genre in der modernen französischen Literatur leider vernachlässigt worden, bedauert er: «Zuerst gab es den Trend des Nouveau Roman, der sehr steril und nüchtern wirkte; darauf folgte die eher mühsame Bekenntnis-Literatur, in der Autoren nur noch über eigene Erfahrungen berichteten.» Dank Joël Dicker erlebe der klassische Roman nun endlich eine Renaissance, freut sich der passionierte Büchermensch.

Nominiert für den Prix Goncourt

Und sein Gespür war goldrichtig: Kaum landete Joël Dickers Roman im September 2012 in den Buchhandlungen, erhielt er lobende Kritiken, gewann zahlreiche Auszeichnungen und stand sogar in der Endausscheidung für den wichtigsten Literaturpreis im Land, für den Prix Goncourt.

Buchhinweis

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Joël Dicker: «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert». Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg. Piper, 2013.

Bereits einen Monat später, im Oktober 2012 an der Frankfurter Buchmesse, ging dann auch schon das Pokern um die Übersetzungsrechte los. In über 40 Nationen, von Südkorea bis Argentinien, von Taiwan bis Kanada, erscheint gegenwärtig «La vérité sur l’affaire Harry Quebert.» Und Joël Dicker jettet um die Welt, um an möglichst vielen Orten sein Buch persönlich vorzustellen.

Lesungen in der Schweiz

Im Herbst sind auch Lesungen in der deutschen Schweiz geplant. Darauf freue er sich ganz besonders, so Dicker. Er sei stolz, Schweizer zu sein und glücklich, dass nun auch die anderen Sprachregionen sein Roman lesen können: «Das ist eine wichtige Etappe für mich. Vielleicht sogar die wichtigste.»

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