Es geschah auf einer Taxifahrt in Kopenhagen: Jussi Adler Olsen kam ins Gespräch mit dem Chauffeur – offensichtlich ein Mann mit arabischen Wurzeln – und war derart beeindruckt von dessen Intelligenz und Bildung, dass er sich unweigerlich schämte: «Ich ertappte mich, wie ich diese fremdländischen Menschen bisher völlig unterschätzt hatte. Dieser Fahrer war ja weit besser geschult als ich selber.»
Jene Erfahrung hat Jussi Adler Olsens Blick auf Emigranten verändert. Und er setzte ihnen – aus Respekt – ein literarisches Denkmal: mit dem gebürtigen Syrer Assad, einem der wunderbarsten und originellsten Ermittler in der zeitgenössischen Krimi-Literatur.
Sherlock Holmes & Dr. Watson
Ursprünglich war Assad im Kopenhagener Polizeipräsidium als Putzhilfe eingestellt worden. Aber der schrullige, hochsensible Kommissar Carl Mörk realisierte sehr rasch, dass sich hinter diesem humorvollen, liebenswürdigen Typ eine geistige Brillanz versteckt, die er bei seiner Arbeit gut gebrauchen konnte. Über Assads dunkle Vergangenheit weiss Mörk allerdings wenig: Arbeitete er früher beim Geheimdienst? Oder gehörte er zur Opposition? Nur zögerlich gibt der Syrer Privates preis. Aber mit jedem Band kommt man dem Geheimnis von Assad etwas näher. Auch das trägt zur Spannung dieser Krimi-Reihe bei.
Mörk und Assad, die an eine moderne Variante von Sherlock Holmes und Dr. Watson erinnern, bilden – zusammen mit der schrillen Assistentin Rose – den Kern des «Sonderdezernats Q». Diese clevere Spezialtruppe rollt alte ungelöste Fälle wieder auf, bei denen die normale Polizeiarbeit einst in eine Sackgasse geraten war.
Spuren bis nach Afrika
Im neuesten Band, «Erwartung» suchen sie einen dänischen Beamten, der nach Kamerun gereist war, um vor Ort ein Entwicklungshilfe-Projekt zu kontrollieren. Den Rückflug hatte er noch angetreten, aber kaum zurück auf Kopenhager Boden, war er spurlos verschwunden. Sämtliche Recherchen verlaufen im Sand; erst der obdachloser Zigeunerjunge Marco, der sich von seiner Räuberbande absetzt, bringt Carl Mörk auf eine heisse Spur. Und damit beginnt eine Jagd, die bis in den tiefen Dschungel Afrikas führt.
Inspiriert hat Jussi Adler Olsen eine eigene, abenteuerliche Reise nach Kamerun, bei der er – wie er sagt – «an seine Grenzen gekommen» sei und grosse Ängste durchgestanden habe.
Mit Marco wollte er die Roma und Jenischen in ein besseres Licht rücken: «Wir haben in Dänemark viele Menschen aus anderen Kulturen; aber in der Hierarchie der Fremden bilden sie die am meisten verpönte Bevölkerungsgruppe. Und gegen diese Vorurteile habe ich in diesem Roman angeschrieben.»
Bilder im Kopf auslösen
Seine politische Haltung in solchen Fragen will er einbringen, genauso wie den Humor. Und in diesem Mix von Komik, Spannung und Tiefgang muss man wohl das Erfolgsgeheimnis von Jussi Adler Olsen suchen. Millionen von Leserinnen und Lesern auf der ganzen Welt verschlingen seine Bücher.
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Ursprünglich kommt Jussi Adler Olsen vom Film. Und dieser Hintergrund sei ihm bei seiner späten Berufung zum Schrifsteller sehr entgegen gekommen: «Ich sehe alle meine Geschichten in Bildern.» Beim Film habe er auch gelernt, alle überflüssigen Elemente wegzulassen: «Das Wichtigste beim Erzählen ist, die Phantasie des Publikums anzuregen. Ich gehe nie in die Details, liefere nur die nötigen Stichworte. Alles weitere spielt sich dann im Kopf der Lesenden ab.»
Es stimmt: Bei Jussi Adler Olsen sucht man vergeblich nach blutigen Gewaltszenen; und doch hat man zuweilen das Gefühl, man lese eine happige Geschichte. «Sehen Sie», lacht er, «das ist Ihr eigenes Kino, das in Gang kommt.»
Beschriebene Menschlichkeit
Jussi Adler Olsen ist in den 50-er Jahren – als Sohn eines Psychiaters – auf dem Areal einer Klinik aufgewachsen. Und er hat Freundschaft geschlossen mit vielen traumatisierten Patienten. Auch Mörder seien darunter gewesen. Dies sei auch der Grund, warum man in seinen Büchern viele Täter antrifft, die selber einmal Opfer waren. Seelen sind verletztlich – und wer Böses erfahren hat, schlägt nicht selten eines Tages zurück.
Diese tiefe Menschlichkeit, die in seinen Krimis immer auch durchdrückt, mag ebenfalls eine Erklärung sein für Jussi Adler Olsens Popularität. Seine Bücher sind klassische Pageturner, die stets auch einen kritischen Blick auf unsere moderne Gesellschaft werfen. Jussi Adler Olsen ist kein Moralist, aber er sieht durchaus eine Verantwortung als einer, der die Massen unterhält. Und so mag es vielen Leserinnen und Leser geben, die – wie der Autor vor Jahren im Taxi – plötzlich nach der Lektüre realisieren, dass der Realität doch nicht so einfach mit Klischees beizukommen ist.