Andrea Camilleri kennt man als Autor mit einer gewissen Leichtigkeit. Und mit starker satirischer Prägung. So schätzt man ihn wegen seiner Bücher, in denen auf satirische Weise absurde Fälle aus der sizilianischen Geschichte thematisiert werden: Zum Beispiel die neue Oper, die angezündet wird, weil die Leute den Komponisten nicht mögen. Die Mussolini-Verwaltung, die fast durchdreht, weil sich ein Afrikaner an der Universität eingeschrieben hat. Oder die Kleinstadt, in der es wegen des spirituellen Überdrucks gewisser Geistlicher plötzlich keine Jungfrauen mehr gibt.
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All das ist lustig. So wie auch seine bekannten Montalbano-Krimis, in denen ein sympathischer sizilianischer Macho Korruption und Mafia bekämpft, während ein geistreicher sizilianischer Autor Blödheit und Borniertheit der Leute anprangert.
Mord gehört zum Harmloseren
Aber verstörende Bücher? Bei Camilleri? Fehlanzeige. Und jetzt liegt da «Ein Samstag unter Freunden» auf dem Tisch. Dieses Buch ist nicht lustig. Es will es auch nicht sein, sein Thema lässt es nicht zu. Denn das Thema sind sexuelle Abgründe. Es beschreibt sieben Freunde, die allesamt als Kinder schlimme Dinge erlebt haben: Übergriffe, Missbrauch, das ganze Programm. Und es zeigt, wie sie jetzt als erfolgreiche und durchaus funktionierende Erwachsene wieder zusammen kommen, und wie dadurch die ganze Vergangenheit wieder aufbricht.
Und da gehört der verdrängte Mord an der Schwester zum Harmloseren, was wieder hochkommt. Heftiger ist der Missbrauch an einem Kleinkind, den ein Kommunalpolitiker zu verbergen sucht, oder das Pärchen, das auf Grund eines Jungentraumas heute nur noch dann sexuelle Befriedigung findet, wenn gleichzeitig – in Echt – jemand stirbt.
Das Lachen bleibt tief im Hals stecken
Das Schockierende daran ist nicht, dass diese Dinge beschrieben werden. Das Schockierende daran ist, dass sie so plausibel geschildert werden. Diese Leute sind ganz normal, wie du und ich und der Unbekannte, der gerade mit uns am Kneipentisch sitzt. «Wie viele sind es?», fragt man sich da automatisch. Wie viele kaputte Menschen laufen herum und rächen sich für Dinge, die man ihnen angetan hat?
Diese Frage stellt sich Andrea Camilleri in seinem neuen Buch. Und er richtet dabei das Augenmerk auf die Eltern, die wissentlich oder aus Gedankenlosigkeit und Selbstsucht ihre Kinder verderben und zu Monstern machen. Dabei verzichtet er für einmal auf alle Satire. Und das macht auch keinen Unterschied, denn ob mit oder ohne Satire – das Lachen bleibt einem bei Camilleri sowieso oft im Halse stecken. Die Frage ist höchstens, wie tief. Hier ist es sehr tief.