Sie war ANC-Mitglied und kämpfte gegen Rassismus – egal welcher Couleur. Und dass Nadine Gordimer noch immer kein Blatt vor den Mund nimmt, zeigt ihr letzter Roman «Keine Zeit wie diese» von 2012. Er erzählt vom Leben eines Intellektuellenpaars hier und heute in Südafrika. Die beiden – er weiss mit jüdischen Wurzeln, sie schwarz – hatten sich vor vielen Jahren im Untergrund kennengelernt. Hat sich ihr Kampf gelohnt?
Nein, meint Nadine Gordimer, Apartheid-Gegnerin der ersten Stunde. Und protokolliert die nachrevolutionäre Desillusionierung der Protagonisten in «Keine Zeit wie diese» akribisch. Dabei scheut sie sich nicht, all jene beim Namen zu nennen, die in Südafrika heute demokratische Ziele mit Füssen treten – etwa auch Staatspräsident Jacob Zuma.
Schreiben als Erforschung des Lebens
Trotzdem behauptet Nadine Gordimer nicht, dass sie die Antworten habe – weder in ihren mittlerweile 15 Romanen und mehr als 200 Erzählungen, noch in ihren zahllosen Essays: «Der Schriftsteller selbst steht vor dem, was er ans Licht gebracht hat, so wie der Leser auch; was jeder daraus macht, richtet sich nach dem moralischen Urteil des Einzelnen, und das ist seine oder ihre Botschaft: die des Schriftstellers und die des Lesers.»
So steht es im Essay «Wo die Wörter wohnen» von 2001, abgedruckt im eben erschienenen Doppelband «Erlebte Zeiten / Bewegte Zeiten». Der Band lädt dazu ein, 60 Jahre der literarischen Auseinandersetzung mit Südafrika, mit dem Leben überhaupt nachzulesen. Oder wie es in «Wo die Wörter wohnen» so schön heisst: «Für mich ist das Schreiben immer schon eine Erforschung des Lebens gewesen, eine Safari in die staunenswerte Wildnis, die andauern wird, bis ich sterbe.»
Anregendste Lesestunden
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Auf Safari mit Nadine Gordimer erlebt man anregendste Lesestunden, weil die Grand Old Lady der südafrikanischen Literatur nicht nur eine blitzgescheite, sondern auch eine überaus lakonische Erzählerin ist. Eigenes Denken mutet sie einem ganz bewusst zu. So lässt sie einen zum Beispiel im frühen Essay «Eine südafrikanische Kindheit» (1954) teilhaben an der Erfahrung, wie es ist, bei aller Naivität zu einer zutiefst ungerechten und bigotten Gesellschaft zu gehören.
In einem Interview anlässlich des Nobelpreises 1991 erzählte sie, wie sie sich mit sechs in der Bibliothek in Springs einschreiben durfte, ihrer damals noch scharf nach Rassen getrennten Geburtsstadt. Ohne diese Bibliothek, bekennt die Tochter jüdischer Einwanderer, wäre sie nie Schriftstellerin geworden. Und wäre sie schwarz gewesen, hätte sie sich gar nicht einschreiben dürfen.
Edition mit Wermutstropfen
Wie geschickt Nadine Gordimer ihre Diagnosen gesellschaftlicher Entwicklungen mit der eigenen Betroffenheit grundiert, lässt sich auch in der langen Erzählung «Etwas da draussen » nachlesen: eine unheimliche Terroristengeschichte, die das Südafrika kurz vor dem Ende der Apartheid einfängt. In einer gleichzeitig surrealen und beklemmend realistischen Atmosphäre wird da die explosive Mischung von eingebildeter und tatsächlicher Bedrohung, Sicherheitswahn und unkontrollierbarer Gewalt manifestiert.
Nicht verständlich ist, warum der Verlag den Doppelband – übrigens ausnehmend schön gestaltet und mit vielen vergriffenen Texten – weder mit einer Einführung noch mit Anmerkungen versieht. So muss man sich die ergreifendsten Erzählungen und die spannendsten Essays selbst zusammensuchen und zeithistorische Bezüge selbst nachschlagen. Aber es lohnt sich.