«Meine Brüder sind Schriftsteller. Ich bin Autorin.» Das sagte Marion Brasch vor zweieinhalb Jahren bei unserem ersten Treffen in Berlin. Es war ein eiskalter Wintertag. Wir sassen im Café Gagarin in ihrem geliebten Prenzlauer Berg und redeten über «Ab jetzt ist Ruhe», wie ihr erster Roman heisst. «Aber», so fügte sie noch hinzu, «vielleicht sehe ich das mal anders, wenn ich den nächsten Roman geschrieben habe.»
Sie blieb als einzige zurück
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In «Ab jetzt ist Ruhe» erzählt Marion Brasch die Geschichte ihrer Familie. Sie erzählt von ihrem Bruder Thomas, der als Lyriker und Dramatiker zur ersten Garde der DDR-Schriftsteller gehört und sich trotzdem mit diesem Land schwer tut. Sie erzählt von ihrem zweiten Bruder Peter, der auch ein grosser Schriftsteller ist, wenn auch nicht so berühmt wie Thomas. Sie erzählt von Klaus, dem dritten Bruder, der Schauspieler wird, viel trinkt und jung stirbt. Sie erzählt vom Vater, der als stellverstretender Kulturminister der DDR zeitweise einen genauso grossen Einfluss auf das Kulturleben der DDR hat wie seine Söhne. Und sie erzählt von sich als kleine Schwester und davon, wie es ist, wenn alle nacheinander sterben und sie als einzige zurückbleibt.
Anweisungen per SMS
Jetzt treffe ich Marion Brasch wieder. Es ist ein warmer Sommertag, wir sitzen in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg und reden über ihren zweiten Roman: «Wunderlich fährt nach Norden».
Darin erzählt sie die fantastische Geschichte eines Mannes names Wunderlich, der auf dem Dach seines Hauses sitzt und Liebeskummer hat. Er wird von seinem Telefon, respektive von «Anonym» per SMS dazu aufgefordert zu verreisen, was Wunderlich nach anfänglichem Zögern auch tut. Er reist nach Norden, bleibt aber am erstbesten Bahnhof hängen.
Harz, das nachts aus Bäumen tropft
Und dort beginnt dann die eigentliche Reise. Eine Reise zu sich selbst, bei der sich die Ebenen vermischen und auch surreale Dinge auftauchen. Beispielsweise dieser «Anonym» oder auch das «Blauharz», das nachts aus blauen Bäumen tropft und die Eigenschaft besitzt, Verletzungen ungeschehen und deren Ursache und Verursacher für immer vergessen zu machen.
Im Gespräch erzählt mir dann Marion Brasch über ihre eigene Reise mit diesem Buch, die auch darin bestanden habe, sich von ihrer früheren Rolle als kleine Schwester grosser Schriftsteller zu lösen. Wie gross dieser Schritt gewesen ist, weiss ich nicht. Aber dass sie ihn geschafft hat, ist offensichtlich. «Ich bin Marion. Das ist meine Geschichte und meine Sprache», sagt sie im Gespräch.
Die Ahnen sind da
Nach dem Gespräch gibt’s noch den obligaten Fototermin. Marion Brasch geht hinüber ins Arbeitszimmer und stellt sich vor ihren Schreibtisch. Hinter ihr die Wand mit den Fotos. Thomas, Peter, Klaus, die Eltern. Das ganze Personal aus «Ab jetzt ist Ruhe». Ich mache das Foto und frage sie, ob sie sich denn jetzt als Schriftstellerin sehe.
«Meine Brüder sind Schriftsteller. Ich bin Autorin. Aber vielleicht sehe ich das mal anders, wenn ich den nächsten Roman geschrieben habe.» Und dann lacht sie und fügt hinzu: «Aber ich glaube, das habe ich das letzte Mal auch schon gesagt.»