Die erste Geschichte handelt vom Sterben der Grossmutter, die eine grosse Erzählerin war und Stasiuk stark geprägt hat. Hier blitzt ein Grundthema Stasiuks auf: Der Epochenbruch, der in allen Büchern des 52-jährigen polnischen Schriftstellers und Journalisten eine Rolle spielt. Stasiuks Grossmutter war noch in einer alten, magischen Welt verankert und auf eine sehr persönliche Weise mit Gespenstern verbunden. Bereits in dieser Geschichte zeigt sich, dass Andrzej Stasiuk in seinem Buch «Kurzes Buch über das Sterben» quasi an seinem eigenen Leben entlang erzählt.
Liebevoller Abschied
Es folgt eine Geschichte über Augustyn, einen Schriftsteller, der nach einem Schlaganfall dem Tod entgegendämmert. Dann die Geschichte über Stasiuks alte Hündin. Stasiuk beobachtet ihr Sterben und billigt diesem eine Würde zu, wie man es für sich selber wünschen würde.
«Ich schreibe diesen Nachruf auf ein lebendes Tier beziehungsweise diese Erinnerung zu Lebzeiten, weil mir zum ersten Mal die Erfahrung zuteil wird, so lange, systematisch und genau zu beobachten, wie ein lebendiges Wesen sich in einen gebrechlichen Körper und zuletzt in eine Leiche verwandelt. Ich betrachte die Hündin und denke an mich, aber auch an alle Menschen, die langsam aus ihrer Hülle schlüpfen, sich langsam lösen. Wenn ich also die Hündin betrachte, werde ich die Vision der menschlichen Sterblichkeit nicht los. Unser gelber, nutzloser Hund (er bellt nicht, schwänzelt nicht, wedelt nicht, zeigt keine Freude bei der Begrüssung) verwandelt sich in ein Ding, dessen man sich entledigen muss. Ja, manche raten, man solle das bald tun, um sich selbst den Ärger und dem Tier die Qual zu ersparen. Schliesslich wird sich nichts mehr ändern, die Situation ist irreversibel. Eine Spritze und fertig. Das könnte ich sogar selbst machen. Wenn es sein musste, habe ich früher Schafe und Ziegen geschlachtet. Doch aus irgendeinem Grund werde ich den Gedanken an die Menschen nicht los, die an all den sorgsam verborgenen Orten liegen, die dem Sterben dienen.»
Gedanken zum Tod als Leitfaden fürs Leben
Selten hat man einen Autor so liebevoll über seinen Hund schreiben sehen. Und irgendwie lässt einen der Gedanke nicht los, dass so manches Menschenleben am Ende ein ziemliches Hundedasein ist.
Besonders packend, und damit so etwas wie das Zentrum dieses «kurzen Buches über das Sterben», ist die letzte Geschichte mit dem Titel «Gorchòw», in der Stasiuk sich mit dem Tod seines engen Freundes Oleg auseinandersetzt. Ein Roadmovie, in dem die beiden Freunde durch das alte Europa fahren. Und in dem Stasiuk dem Freund zwar zuhört, als dieser ihm erzählt, dass er Krebs habe, dann aber nicht mit Oleg darüber sprechen, sondern aus Hilflosigkeit nur schweigen kann.
Weitere Sendung
Stasiuks Gedanken über das Sterben sind ebenso ein Leitfaden fürs richtige Leben. Frei nach Michel Montaigne könnte man auf folgenden Gedanken kommen: Leben heisst Sterben lernen. Dass das in diesen Zeiten alles andere als banal ist, führt Stasiuk dem Leser mit feinfühliger Klarheit vor Augen.
Poetisch, still, zart: Das Buch spendet Trost
«Da wir gelernt haben, das Leben zu verlängern, gestehen wir uns auch das Recht zu, es zu verkürzen, denn seit einiger Zeit scheinen wir alles in der Hand zu haben. In früheren Epochen, vor dem Humanismus, war der Tod grausam, er kam oft zu früh, aber das Leben dauerte bis an sein Ende. Darüber entschied das Schicksal.»
Stasiuks «Kurzes Buch über das Sterben» handelt aber nicht nur von, eben, dem Sterben. Es handelt auch von vergangenen Welten und davon, wie diese mit Sprache bewahrt und fruchtbar gemacht werden können. Indem Stasiuk von sich erzählt, in die eigene Jugend zurückblickt und seinen Aufbruch in ein anderes Leben schildert, mahnt es zum eigenen Nachdenken über den Tod und es mahnt zum Innehalten. Und das alles ist so poetisch geschrieben, still und zart, dass man das Buch tatsächlich in seiner Hosentasche mit sich herumtragen möchte, um es immer wieder zur Hand nehmen zu können, um darin eine Art von Trost zu finden.