Ein sonniger Morgen in Tel Aviv. Vor dem Habima-Theater rauschen Springbrunnen. Verabredung mit der israelischen Autorin Lizzie Doron, die in Leipzig ihren neuen Roman «Who the fuck is Kafka» vorstellen wird. In Israel hat bisher noch kein Verlag gewagt, ihn zu veröffentlichen. Weil der Inhalt zu brisant ist?
«Der Roman ist eine Art Tagebuch», sagt die Autorin, deren Bücher sonst in Israel zur Schullektüre gehören. «Ich beschreibe, wie ich zwei Jahre lang jede Woche ein paar Tage in einer arabisch-palästinensischen Familie lebte. Und wie der Vater dieser Familie jede Woche zu uns nach Tel Aviv kam.»
Dorons Roman ist harte Lektüre. Sie beschreibt die Schikanen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten. Sie beschreibt aber auch die stereotypen Verhaltensweisen ihres palästinensischen Freundes. So vermittelt sie eine Ahnung davon, wo Verständigung möglich ist – und wo sie ihre Grenzen hat. Hoffnung macht ihr Buch keine.
Angst um die Meinungsfreiheit
Nicht nur der zunehmend unlösbare Konflikt mit den Palästinensern bereitet vielen israelischen Autoren Sorge. George Sobol ist ein international bekannter Dramaturg und Autor von Romanen wie «Schweigen» und «Whisky ist auch in Ordnung».
Er beobachtet mit ungutem Gefühl, dass die innenpolitischen Debatten in Israel zunehmend aggressiver werden, dass den jüdischen Siedlern nahestehende Kräfte inzwischen sogar mit Gewalt gegen Friedensdemonstranten vorgehen.
«Ich habe Angst, dass in meinem Land die Meinungsfreiheit immer mehr eingeschränkt wird und Menschen allein wegen ihrer politischen Überzeugungen Schwierigkeiten bekommen», sagt Sobol.
Bücher als Spiegel der zerrissenen Gesellschaft
Etgar Keret, 1963 geboren, ist Bestsellerautor und bekannter Filmregisseur. Immer wieder hat er sich öffentlich für einen Ausgleich mit den Palästinensern einsetzt, für die Rückgabe der besetzten Gebiete plädiert. Was das bedeutet, erzählt er im Café Triangel nahe der belebten Dizengoffstrasse in Tel Aviv: «Plötzlich gibt es Leute, die dir Hass-Emails schreiben, die zum Boykott deiner Bücher aufrufen, deinem Sohn Krebs wünschen, deine Familie mit dem Tode bedrohen. Das ist etwas, das im israelischen Diskurs in der Vergangenheit nicht existierte. Diese Tabu wurde im letzten Gaza-Krieg gebrochen.»
Der Holocaust und seine Folgen sind für die jüngere Generation israelischer Autoren längst nicht mehr die bestimmenden Themen. Ihre Geschichten spiegeln zunehmend die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft. Und so wimmelt es in Etgar Kerets Erzählungen von gescheiterten Existenzen, ewig Suchenden, Menschen, denen ihr eigenes Land zunehmend fremd wird.
Ein fiktives «Zion» ohne Vision
Wohl auch deshalb gab der Schriftsteller Eshkol Nevo seinen letzten Roman den Titel «Neuland». In ihm lässt er einen einstigen Kriegshelden nach Südamerika auswandern und dort ein neues «Zion» gründen. Dem Staat, lässt er seinen Helden sagen, fehle eine Vision. Und ein Staat ohne Vision, sei wie eine Familie, in der es keine Liebe gebe.
Dem stimmt auch Meir Shalev zu. Er wohnt zwei Autostunden entfernt von Tel Aviv im ruhigen Kibbuz Alonei Abba. In seinen im Züricher Diogenes-Verlag erscheinenden Büchern spielt die israelische Gegenwart zwar kaum eine Rolle. Doch wer will, kann seinen jüngsten Roman «Zwei Bärinnen» durchaus als Parabel lesen – auf die Sinnlosigkeit des Lebens in einer Gesellschaft, in der das Prinzip Rache allmählich die Oberhand gewinnt.
Bitte kein Apartheidstaat!
«Ich sehe nur eine einzige Lösung», sagt Meir Shalev. «Israel muss den Arabern endlich einen eigenen Staat im Westjordanland geben. Und die palästinensischen Araber müssen im Gegenzug darauf verzichten, dort alle Flüchtlinge bis in die fünfte Generation anzusiedeln. Wenn wir das nicht hinbekommen, werden wir bald eine jüdische Minderheit sein, die wie in einem Apartheidstaat über ein anderes Volk herrscht. Das ist pure Mathematik. Ich möchte nicht, dass meine Kinder oder meine Enkel in so einem Staat leben.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 9.3.2015, 16:50 Uhr.