Mit ihrer Rede gegen die künstliche Befruchtung hat die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff für einen Eklat gesorgt. Bei einem Auftritt am Staatsschauspiel Dresden bezeichnete sie Reproduktionsmediziner als «Frau Doktor und Herr Doktor Frankenstein» und brachte die Reproduktionsmedizin mit «Kopulationsheimen» der Nazis in Verbindung. Die Kinder aus dem «gegenwärtigen Fortpflanzungsgemurkse» seien «als Halbwesen anzusehen», so die Büchnerpreisträgerin.
Grosse und breit abgebildete Empörung
Dass Sibylle Lewitscharoff dermassen scharfes Geschütz auffährt, damit hat niemand gerechnet. Sie gilt zwar als durchaus meinungsstark und streitbar, auch dass sie aus einem katholischem Elternhaus stamm, wusste man. Auch ihre Tendenz zu Kulturpessimismus ist bekannt. Aber das Feuilleton – das darf man jetzt nicht vergessen – hat sie in den letzten Jahren hoch gefeiert. Sie hat zahlreiche Literaturpreise erhalten, man hat sie auf Händen getragen, ihre Bücher wurden hoch gelobt - sie war der literarische Star des Feuilletons.
Das erklärt vielleicht auch die grosse Empörung, die sie nun mit ihrer Rede im Feuilleton ausgelöst hat. Eine Rede, die ehrlich gesagt auch mich fassungslos macht. Da hilft es auch nicht weiter, dass sie bereits am Anfang der Rede darauf hinweist, was ihr selber widerfahren ist - dass sich ihr Vater – der übrigens Gynäkologe war – das Leben genommen hat, als sie elf Jahre alt war. Sie reagiere deshalb auf diese Themen schärfer und auch persönlicher, sagt sie selbst. Aber welches Menschenbild hinter ihren Aussagen steht – diese Frage muss sie sich wohl gefallen lassen.
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Entschuldigungen in Fernsehen und Zeitung
Dass nun die Reaktionen auf ihre Rede heftig ausfallen, überrascht nicht. Man nimmt die Autorin beim Wort. Man macht sie verantwortlich für die von ihr gewählten Worte. Sogar ihr Verlag hat sich von ihr distanziert - bemerkenswert für den Suhrkamp Verlag, der sich sogar bei den Diskussionen um Peter Handke und den Jugoslawien-Krieg immer hinter seinen Autor gestellt hat.
Heute Morgen hat sich Sibylle Lewitscharoff dann im deutschen Fernsehen für einige Aussagen zur künstlichen Befruchtung und Retortenkindern entschuldigt. Auch in der FAZ hat sich die umstrittene Autorin heute zu erklären versucht. Einerseits geht sie in die Defensive, wenn sie fragt: «Darf ich nicht sagen, was ich denke?». Andererseits verteidigt sie ihre Meinung: Der Mensch halte sich zunehmend für Gott, greife ein in Leben und Tod. Und greift damit eine Gesellschaftsdiskussion auf, die so neu nicht ist...
Die Rede selber handelt – wie der Titel schon sagt – «Von der Machbarkeit, von der wissenschaftlichen Bestimmung über Geburt und Tod». Ich kann durchaus was anfangen mit Lewitscharoffs Skepsis gegenüber den Möglichkeiten und Grenzen der modernen Medizin. Auch finde ich die Diskussion darüber, wann es sinnvoll ist, Leben zu verlängern und wann es sinnvoll ist, Leben zu verkürzen, durchaus wertvoll. Nur: Lewitscharoff verrennt sich. Sie urteilt darüber, was lebenswert ist, wann das Leben lebenswert ist, unter welchen Bedingungen – und zwar mit einem Bekenntnis zum Christentum, das biographisch begründet ist.
Gegen die Selbstermächtigung des Menschen
Es ist schwierig, die Argumentation vom Kern der Gesellschaftskritik zu trennen. Lewitscharoffs Beobachtung, dass Gott immer mehr als höchste Instanz in unserer Gesellschaft verblasst, ist natürlich richtig. Dass wir unser Leben immer stärker selbst in die Hand nehmen und versuchen, unser Schicksal zu lenken, statt es lenken zu lassen. Dass unser Mass an Selbstbestimmung immer mehr zunimmt. Sie kritisiert diese Entwicklung und wehrt sich gegen die Selbstermächtigung des Menschen und ganz speziell der Frauen. Das kann man gut finden oder auch nicht.
Aber: wie sie das alles ausführt, mit welchen Mitteln, mit welcher Sprache, welche Schlussfolgerungen sie daraus zieht und welche Wertungen sie vornimmt, das ist in meinen Augen nicht nur höchst anmassend, sondern wirklich verstörend und zu recht empörend.