Im neuen Roman von Anna Gavalda finden sich zwei einsame Seelen: Billie und Franck. Sie wächst in einer verwahrlosten Wohnwagensiedlung auf, wird täglich angeschrien und geschlagen. Er ist schwul, kann es nicht zeigen, leidet unter seinem reaktionären Vater und der alkoholsüchtigen Mutter. Im Schultheater lernen sich die beiden Aussenseiter kennen und respektieren. Sie werden Freunde fürs Leben.
Freundschaft und Liebe
Anna Gavalda zeigt mit dieser bittersüssen Geschichte, was Freundschaft bedeutet und wie sie unser Leben verändern kann. Für sie gehe es hier nicht nur um eine gewöhnliche Freundschaft, sagt Gavalda. Was Billie und Franck füreinander empfinden, sei Liebe.
«Es ist auch Liebe, wenn ein Mann und eine Frau nicht miteinander schlafen. Das ist in unserer sexualisierten Gesellschaft zwar seltsam, aber mich hat so eine Liebesgeschichte ganz besonders interessiert.» Liebe ohne Sex, darauf habe sie richtig Lust gehabt, sagt Gavalda.
Trennungsbriefe für Freunde
Radfahren, Angeln, Knallfrösche und feuchte Küsse in der Kirche so beschreibt die heute 43-jährige Anna Gavalda Ihre Kindheit. Die Schulzeit: Schuluniform, Lateinübersetzungen, Seufzer und Liebeserklärungen hinterm Bushäuschen. Später studiert sie Literatur an der Sorbonne, jobbt als Verkäuferin, Kellnerin und Telefonistin.
Ihre ersten Schreibversuche wagt sie für ein Wochenblatt mit Artikeln über Früchte und Gemüse. Für Freunde setzt sie Liebes- und Trennungsbriefe auf. Heute wohnt Anna Gavalda in der Nähe von Paris, ist Vollzeitmutter von zwei Kindern und «nachts, wenn alle Katzen grau sind und die Küche gefegt: Schriftstellerin».
Anna Gavalda: «Es ist mir eine Ehre für Frauen zu schreiben»
Sie ist eine überaus erfolgreiche Schriftstellerin. Der kleine Verlag, dem Gavalda seit Beginn treu geblieben ist, konnte inzwischen an eine der besten Adressen in Paris zügeln. Dank Gavalda. Leser und vor allem Leserinnen lieben sie. Auch im deutschsprachigen Raum verkaufen sich ihre Bücher sehr gut. Aber von der «Pariser Intelligenzia» wird sie nicht ganz ernst genommen. Anna Gavalda schreibe anspruchslose Frauenbücher und passe sich dem Massengeschmack an, heisst es.
Beitrag zum Thema
Dieser Vorwurf nervt sie, das merkt man. Angriffig und ironisch erwidert Anna Gavalda: «Mit meinem tiefen Niveau bringe ich Menschen zum Lesen, die sonst nicht lesen würden. Drei Generationen lesen meine Romane. Die 15-jährige Tochter hat grossen Spass an meinen Büchern, auch die 50-jährige Mutter und – stellen Sie sich vor – auch die 80-jährige Grossmutter», sagt Anna Gavalda im Interview. Es ist ihr eine grosse Ehre, für Frauen zu schreiben. Frauen seien doch wunderbare Menschen.
Happy End – ja, aber ...
Ihre Romane haben meist ein Happy End. Stimmt nicht ganz, erwidert Anna Gavalda. Man müsse ihre Bücher richtig lesen. «Es gibt kein Happy End, sondern einen offenen Schluss. Im Moment ist die Geschichte fertig, die Situation glücklich, aber das heisst nicht, dass die Figuren gerettet sind.»
Da sei sie etwas egoistisch. Denn es sei einfacher für sie, die Figuren so gehen zu lassen. Sie könnten sich dann allein durchschlagen. «Wenn Sie einem Menschen Adieu sagen, dann ist es doch auch viel schöner, wenn er lacht!»