Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Literatur Mankells letzte Geschichte ist Abschied und Hoffnung zugleich

Nachdem Henning Mankell «Die schwedischen Gummistiefel» abgeschlossen hatte, erlag er überraschend schnell seinem Krebsleiden. So wird dieses letzte Buch, das jetzt auf Deutsch erscheint, zu seinem Vermächtnis: Ein alter Mann, den das Schicksal nicht schont, räsoniert über den Sinn des Weiterlebens.

Es ist der Alptraum jedes Chirurgen: die Vorstellung, dass ihm eines Tages ein Kunstfehler unterläuft. Fredrik Welin muss seit vielen Jahren mit dieser Realität leben. Er hat einer jungen Frau den falschen Arm amputiert. Diese Panne kann er sich nicht verzeihen.

Gefangen in Selbstvorwürfen flieht Welin auf eine einsame Schäreninsel. Dort kapselt er sich von der Welt völlig ab, bis eines kalten Tages seine alte Jugendliebe Harriet übers Eis kommt, und ihm – kurz vor ihrem Tod – ein Geheimnis verrät: Er sei Vater einer längst erwachsenen Tochter.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Henning Mankell: «Die schwedischen Gummistiefel», Paul Zsolnay Verlag, 2016.

Diese Geschichte publizierte Henning Mankell 2006 im Roman «Die italienischen Schuhe». Fast zehn Jahre später nahm er dann den Faden in «Die schwedischen Gummistiefel» wieder auf und liess Fredrik Welin erzählen, was seither geschehen ist.

Ins Visier der Ermittlungen

Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Welin ist mit knapp 70 obdachlos. Sein Haus ist in einer windigen Herbstnacht bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Ausser einem Wohnwagen, einem Bootshaus, einem Kahn und einem Auto verliert er seine sämtlichen Habseligkeiten.

Die Fragen, die er sich nach diesem Schicksalsschlag stellt: Was soll er jetzt tun? Hat er noch eine Zukunft? Gibt es einen wirklichen Grund weiterzuleben? Die Tochter Luise lebt im Ausland. Zu ihr hat Welin ein eher distanziertes Verhältnis.

Kommt hinzu, dass er sehr bald schon selber unter Verdacht gerät, der Brandstifter zu sein. Als auch Höfe auf anderen Inseln in Flammen aufgehen, wird es zunehmend ungemütlich für Welin.

Alter, Sterben und Tod

Bei Henning Mankell ist man es sich gewohnt, dass bald schon die Polizei ins Spiel kommt. Aber «Die schwedischen Gummistiefel» passen nur vordergründig ins Schema der Kriminalliteratur.

Denn eigentlich ist der Roman eine tiefgründige, philosophische Auseinandersetzung mit den existentiellen Themen von Alter, Sterben und Tod – und mit der Frage, was letztendlich ein Leben lebenswert macht.

Abschied und Verzicht

Älterwerden hat immer auch mit Abschied, Verzicht und Schmerzen zu tun. Da gibt es nichts zu beschönigen. Welin weiss, dass seine Schwärmerei für eine junge Journalistin wohl unerwidert bleibt.

Er kann auch nicht erwarten, dass seine Tochter Louise sich nun um ihn kümmert. Er selber hatte ihre Mutter einst ohne Erklärung sitzen lassen und war dem Kind nie ein Vater gewesen.

Literarisch unterschätzt

Grossartig, wie Henning Mankell hier den Scheinwerfer auf diese letzte Lebensphase hält, in der Menschen nicht selten nochmals auf sich selber zurückgeworfen werden und Antworten suchen müssen auf Fragen, die sie bislang erfolgreich verdrängt haben.

Es ist vielleicht bezeichnend, dass Mankells letzter Roman kein klassischer Krimi mehr ist. Zeitlebens hat man ihn literarisch unterschätzt. Jetzt gibt er uns nochmals die Gelegenheit, ihm, dem sensiblen Humanisten und zeitkritischen Weltbürger, zu begegnen.

Mankell als Mutmacher

Er verstand es eben immer auch, sich in die Köpfe seiner geplagten Figuren hineinzuversetzen und für die «condition humaine» die entsprechenden Bilder und Worte zu finden.

Frederik Welin lässt schlussendlich sein Haus auf den Trümmern wieder aufbauen und gibt sich in der Rolle als Grossvater eine Chance. Das kann auch symbolisch verstanden werden.

Henning Mankell selber war einer, der die Hoffnung nie aufgab und in seinen verschiedenen Rollen immer wieder Mut machte, das eigene Schicksal aktiv in die Hände zu nehmen.

Meistgelesene Artikel