In seinem Roman «Die Geschichte von der 1002. Nacht» erzählt Joseph Roth vom tiefen Fall des Rittmeisters, Baron Alois Franz von Taittinger, dem die delikate Aufgabe zukommt, dem auf Staatsbesuch weilenden Schah von Persien für eine Nacht die Dame seiner Wahl zuzuführen. Da der Schah sich ausgerechnet die verheiratete Gräfin W. erwählt hat, greift Taittinger zu einer List.
Entlarvte Monarchen
Der Protagonist des 1939 erschienenen Buches ist ein Prototyp vieler Figuren in Roths Werk. Ein Orientierungsloser, ein der Resignation anheim Gefallener. Einer, der das Leben meist fad findet, dem jedwede gesuchte Abwechslung bald zum lästigen Ärgernis wird. Sogar seine amourösen Abenteuer: «Sehr bald fand Taittinger, dass ihn die Mizzi langweilte. Eines Tages teilte sie ihm mit, dass sie schwanger sei, und dieser Zustand war schlimmer als langweilig: nämlich fad.»
Pointenreich und gnadenlos enthüllt Roth die gesellschaftliche Verkommenheit und doppelte Moral der ausklingenden Donaumonarchie. Reglement, Strenge und Ordnung der Armee sind die einzigen Anhaltspunkte für ein halbwegs geregeltes und nicht sinnloses Leben.
«... hat sich verirrt im Leben» – bis in den Freitod
Als Taittinger von der Armee Abschied nehmen muss, weil durch ihn ein Minister kompromittiert wurde, verfällt er in eine gnadenlose Armseligkeit, die sogar er selbst erkennt. Der einzige Ausweg, da die Heimkehr in die Armee nun für immer versperrt ist, ist für ihn schlussendlich der Freitod.
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Auf die Frage eines Ministerialrats, warum sich der Rittmeister eigentlich umgebracht habe, erhält er von einem Vorgesetzten zur Antwort: «Halt so! Ich glaub', er hat sich verirrt im Leben. Derlei gibt's manchmal. Man verirrt sich halt.» Und Verirrte gibt es viele in Roths Werk. Den Getriebenen, Suchenden gilt sein hauptsächliches Interesse.
Ein melancholischer Autor und voraus denkender Beobachter
«Seine Spezialität war die Melancholie, die ich von ihm geerbt habe», schreibt Joseph Roth über seinen Vater in einem Brief an seinen Verleger Gustav Kiepenheuer. Über seine Mutter heisst es im selben Brief: «Meine Mutter war eine Jüdin von kräftiger, erdnaher, slawischer Struktur, sie sang oft ukrainische Lieder, denn sie war unglücklich (und die Armen sind es, die bei uns zu Hause singen, nicht die Glücklichen, wie in westlichen Ländern. Deshalb sind die östlichen Lieder schöner und wer ein Herz hat und sie hört, ist nahe dem Weinen).»
Aber Joseph Roth war nicht nur ein phantastischer Prosaist, er war ein genauer, kritischer und voraus denkender Beobachter seiner Zeit. Das zeigen viele seiner politischen Feuilletons, Reportagen und Reiseberichte, die einen Grossteil des Gesamtwerks einnehmen und leider immer noch zu wenig rezipiert sind. Bereits 1932 erkannte Roth die Gefahr des Nationalsozialismus. Einem Freund gegenüber soll er gesagt haben: «Es ist Zeit wegzugehen. Sie werden unsere Bücher verbrennen und uns damit meinen. Wir müssen fort, damit es nur die Bücher sind, die in Brand gesteckt werden.»
Die vierte Hörspieladaption
Joseph Roth selbst war, wie die meisten seiner Gestalten, ein ewig Suchender, Getriebener, immer auf Wanderschaft. Und dennoch war er, wenn auch wie sein «Heiliger Trinker» dem Alkohol sehr zugetan, ein wacher, konzentrierter und disziplinierter Arbeiter der Dichtkunst.
«Die Geschichte von der 1002. Nacht» war nach «Hotel Savoy», «Hiob» und «Die Legende vom heiligen Trinker» meine vierte Hörspieladaption nach einem grossen Prosatext Joseph Roths.