Es war Michael Fehrs Verleger, der Jurymitglied Juri Steiner einen Text von seinem Autor schickte. Und dieser lud Michael Fehr kurzerhand zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ein. Als er den Auszug des Romans «Simeliberg» das erste Mal gelesen hatte, wusste Juri Steiner: Dieser Text hat es in sich. Diesen Autor würde er als einen von zwei Kandidaten in Klagenfurt der Jury zum Frass vorwerfen.
Gleich zwei Preise für Michael Fehr
Aber von wegen Frass: Fehr machte im ersten Wahlgang der Jury um den Bachmann-Preis das Rennen und trat kurz darauf gegen Tex Rubinowitz zur Stichwahl an. Den Hauptpreis gewann er dann zwar nicht, ging aber nicht leer aus: Fehr gewann den zweitwichtigsten Preis des Wettbewerbs, den mit 10'000 Euro dotierten Kelag-Preis.
Damit nicht genug: Nebenbei erhielt er den alternativ ausgelobten Federwelt-Preis der Automatischen Literaturkritik. Dieser wird jährlich am Rande des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs vergeben und ist mit 5000 Euro dotiert.
Die Aufmerksamkeit war ihm sicher
Die Aufmerksamkeit war Fehr von Anfang an sicher: Er legte am zweiten Wettbewerbstag eine eindrückliche Performance hin. Da der Autor sehbehindert ist, fand sein Vortrag unter besonderen Bedingungen statt: Stehend, mit einem Kopfhörer im Ohr, sprach er seinen Text, den ihm die eigene Stimme zeitgleich ins Ohr flüsterte.
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Das hatte die Jury so noch nie erlebt. Aber was sie da zu hören bekam, beeindruckte und irritierte sie gleichermassen. Der Jury-Vorsitzende Burkhard Spinnen sprach von der «Re-Oralisierung der Literatur». Und Jury-Mitglied Hubert Winkels brachte es auf den Punkt: «Die alte philologische Maxime ‹Der Text ist ein Text ist ein Text› ist etwas in die Jahre geraten und nicht mehr zeitgemäss.»
Zusammenspiel von Wort und Klang
Dabei soll doch eigentlich der Vortrag an sich gar nicht in die Bewertung einfliessen. Gut also, dass darüber hinaus der Text formal und inhaltlich genug Gesprächsstoff zu bieten hatte. Der Roman, aus dem die Auszüge stammen, könnte ein Kriminalroman sein oder auch ein Schweizer Dorfporträt.
«Auf den ersten Blick ist dieser Text einfach gemacht, aber die Sätze haben doch eine sehr komplexe Struktur», sagte Jurorin Daniela Strigl. Sie bezog sich damit auf die klangliche Qualität des Textes von Michael Fehr, die sein Vortrag unterstrich: das Zusammenspiel von Worten, Klangfarben, auch Farben.
«Krasse avantgardistische Modernität»
Jeder spürte, wie sehr Fehrs Text neben dem Plot und neben den sehr gelungenen dialogischen Passagen vor allem über die Phonetik funktioniert. Für Burkhard Spinnen war es ein Text von «krasser avantgardistischer Modernität», der wie eine Partitur funktioniere.
Und nicht zu vergessen: Witz und Schalk sprechen auch aus dem Text – eine Seltenheit beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb – und ebenso eine Qualität.
Krankheit der Melancholie
Den «Simeliberg» kennt übrigens jeder Schweizer aus dem « Guggisberglied », einem der ältesten und wichtigsten Schweizer Volkslieder in Moll, das den Schweizern zu singen verboten worden war, um sie vor der «Schweizer Krankheit» – der Melancholie – zu bewahren. Und wie ein Lied klingt auch Michael Fehrs Text, wie ein Klangraum, wie eine Lautchoreographie – vielleicht etwas melancholisch, in jedem Falle aber eindrücklich.