Gugu, die Tante des Erzählers, fährt wie ein Sturm ins Dorf. Ihr Vater war Arzt und ein Held des chinesisch-japanischen Krieges gewesen, sie konnte sich deswegen zur Geburtshelferin ausbilden lassen. Die alten Hebammen des Dorfes glauben noch, bei schwierigen Geburten mit Musik und Geschrei etwas ausrichten zu können. Die junge, temperamentvolle Gugu setzt sie mit Brachialgewalt ausser Gefecht und führt wissenschaftlich begründete Geburtshilfe ein. Die Frauen des Dorfs verehren sie bald wie eine Heilige.
Da flieht ihr Geliebter, Pilot der chinesischen Luftwaffe, zum Feind nach Taiwan. Gugu entrinnt mit knapper Not der Bestrafung – muss aber später in der Kulturrevolution aufgrund einer Denunziation dafür Verfolgung und Qualen erleiden. Nach ihrer Rehabilitierung übernimmt sie die Aufgabe, die Ein-Kind-Politik und die Geburtenplanung gegen den erbitterten Widerstand der Bauern durchzusetzen. Unerlaubt schwangere Frauen verfolgt sie mit allen Mitteln. Sie erzwingt Abtreibungen, treibt Frauen in den Tod, Männer in den Wahnsinn. Sie schont weder die anderen noch sich selbst, mehrmals riskiert sie die eigene Gesundheit und ihr Leben.
Das Geschäft mit den Leihmüttern
Je mehr sich der Kapitalismus entwickelt, umso schockierender wird die Situation. Wer Geld hat, kann sich heute so viele Kinder leisten, wie er will. Er bezahlt einfach: Er zahlt für ungesetzliche Kinder saftige Bussen, dem Staat ist das eine willkommene Einnahmequelle. Er zahlt Zweit- und Drittfrauen, oder Geliebte, die seine Kinder grossziehen. Oder er kauft sich eine Leihmutter.
Die junge «Augenbraue» ist in Mo Yans Roman eine Leihmutter. Sie war bildschön, bis an ihrem Arbeitsplatz in der Spielzeugfabrik ein Brand ausbrach und sie so schrecklich verunstaltete, dass sie keine Chance auf einen Mann mehr hatte.
Wegen ihrer ehemaligen Schönheit gilt sie aber als begehrte Leihmutter. Um ihrem Vater einen Klinikaufenthalt zu bezahlen, willigt sie schliesslich in eine Leihmutterschaft ein. Sie wird auch dann noch nach Strich und Faden betrogen – sogar um ihren Lohn als Leihmutter.
Postmoderne Fruchtbarkeitskulte
«Wa» ist das chinesische Wort für Baby, für eine Fruchtbarkeitsgöttin und für Frosch. Diese Metaphorik durchzieht die historische Erzählung von Mo Yan. Die Frösche, die Seelen der abgetriebenen Kinder, verfolgen die alte Gugu, der Kult um die Fruchtbarkeitsgöttin blüht heute wieder auf, und verehrte Tonkünstler stellen aus Lehm Kinderfiguren her, denen magische Kräfte zugesprochen werden.
Der Kampf zwischen Moderne und uralter Dorftradition wogt noch immer hin und her. Schroffe Gegensätze prallen aufeinander. Mo Yan erzählt dramatische Schicksale und extreme Biographien. Er sucht nach Anteil und Schuld der Einzelnen an den äusserst gewalttätigen Entwicklungen Chinas. Seine Figuren sind so profiliert und lebendig, dass wir Schweizer ihn als chinesischen Gotthelf verstehen könnten. «Frösche» ist ein Stück Weltliteratur.