Viele mögen es überheblich finden, wenn jemand mit Mitte 50 eine Autobiografie vorlegt. Doch Überheblichkeit wird Morrissey schon lange vorgeworfen – seit er sich anschickte, als Sänger und Texter der Smiths die Musikwelt zu verändern. Tatsache ist: Morrissey kann nicht nur singen, sondern auch schreiben. Und er darf sich einer Fangemeinde versichert sein, die ähnlich jener von Bob Dylan in literarischen Zirkeln des Meisters Texte analysiert.
Als Ire – keine Chance
Dass es je soweit kommen würde, davon wagte Steven Patrick Morrissey nicht zu träumen. Als Kind irischer Immigranten war für ihn in Manchester kein sozialer Aufstieg vorgesehen. In der Schule wurden die Kinder mit Lineal und Gürtel gezüchtigt: «Es gab keine Farben, keine Freude, kein Lachen. Oft sassen wir den ganzen Tag über in unseren feuchten Kleidern in den Bänken, und manchmal wurden welche ohnmächtig, weil sie nichts zu essen bekamen.»
Überhaupt beschreibt Morrissey in seiner Autobiografie das Manchester der 60er-Jahre, als wäre es das London eines Charles Dickens. Die Mehrheit der zugezogenen Iren wohnte in halb verfallenen Häusern, die Strassen waren unbeleuchtet, und abends ging man nach Hause, weil es keinen Ort gab, wo man hätte hingehen können.
Plattenläden hingegen gab es. Und da zog es Morrissey hin. «Diese kleinen schwarzen Platten waren mein erster Besitz, ich kaufte sie mit meinen paar Pfund, die ich angespart hatte und natürlich waren sie nicht zuletzt ein Ausdruck meiner Sturheit.» Sturheit deswegen, weil sich der Teenager mit Hilfe des Radios einen Musikgeschmack zulegte, den keiner seiner Altersklasse teilen mochte: Patti Smith, Lou Reed, die New York Dolls und David Bowie, alles Künstler, die sich einer genauen sexuellen Verortung entziehen und Texte vorlegen, die den Vergleich mit grosser Literatur nicht zu scheuen brauchen.
Das Grossmaul schlägt wieder zu
Morrissey ist begeistert, hat er doch selber Oscar Wilde, John Betjeman und W. H. Auden für sich entdeckt. Drei Jahre und unzählige schlecht bezahlte Jobs später trifft er den ausserordentlich begabten Gitarristen Johnny Marr. Die beiden begründen The Smiths und verändern die Musikwelt nachhaltig mit einer eigenwilligen Mischung aus Punk, Rockabilly, eingängigen Melodien und beissender Sozialkritik.
Heute gehört Morrissey zu den bekanntesten und umstrittensten Künstlern der Popkultur, was unter anderem der Tatsache geschuldet ist, dass er sich gesellschaftlich einmischt, seit er auf der Bühne steht: Einen regelrechten Hass verspürt er gegenüber der britischen Königsfamilie, deren Verschleuderung von Steuergeldern er seit Jahrzehnten kritisiert und damit natürlich nicht zuletzt potenzielle Fans empört.
Dem britischen Premierminister David Cameron hat er sogar verboten, die Smiths zu mögen. Widersprüchen geht er nicht aus dem Weg, sondern fördert sie: Er tritt mit Skinheads auf und flirtet mit rechtem Gedankengut, indem er sagt, er möge Nigel Farage von der UKIP. Gleichzeitig widerspricht er aber vehement, wenn ihm vorgeworfen wird, er sei Rassist.
Morrissey – der Tierrechtsaktivist
Unmissverständlich und kompromisslos reagiert Morrissey auf Gewalt an Tieren. Bereits als Teenager wurde er Vegetarier, das erste Album von The Smiths hiess «Meat Is Murder» und Menschen, die Tiere töten, entzieht er die Freundschaft: der britischen Königsfamilie, seinen ehemaligen Mitmusikern, den Kanadiern, weil sie Robben schlachten und den Chinesen, weil sie Hunde und Katzen bei lebendigem Leib das Fell abziehen. Morrissey sagt: «Wenn man Tiere mag, macht es keinen Sinn, ihnen weh zu tun.»
Beitrag zum Thema
Was das alles mit seiner Musik zu tun hat: Sehr viel. Morrissey ist leidenschaftlich, anklagend, virtuos, zynisch und narzisstisch. Damit fordert er sein Publikum heraus: wer sich an Titeln wie «The More You Ignore Me, The Closer I Get», «Satan Rejected My Soul» oder «Girlfriend In A Coma» nicht erfreuen mag, der soll, so scheint er uns zu sagen, halt was anderes hören.
Und vielleicht ist «World Peace Is None of Your Business» nun tatsächlich Morrisseys letztes Album. Dem Vernehmen nach schreibt er an einem Roman. Was natürlich nicht heisst, dass er danach oder dazwischen nicht wieder eine Bühne betritt. Wie prophezeite er doch 2008: «All You Need Is Me».