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Mann im Licht eiener Leselampe: Er hält ein Buch, schaut auf und hebt den Zeigefinger.
Legende: Bei ihm hört man selbst bei detailversessenen Exkursen über Walfängerschiffe gerne zu. Imago/Gezett

Literatur Ob Doku oder Hörbuch: Seine Stimme ist grosses Kino

Im deutschen Sprachraum gilt er schlicht als «die Stimme». Seit vier Jahrzehnten spricht Christian Brückner Dokus für das Fernsehen, Literatur für Hörbücher und die deutschen Stimmen von Robert de Niro, Robert Redford oder Peter Fonda. Wo liegt das Geheimnis seines einzigartigen Erfolges?

Tatsächlich: Er klingt auch bei der persönlichen Begegnung wie Robert de Niro. Robert de Niro auf Deutsch. Mit seinem rauen, etwas schleppenden, heiseren Klang. Abgeklärt und dennoch lauernd. Brückner hat den Typ Stimme, die einem durch Mark und Bein gehen kann. Robert de Niro eben. Aber es ist Christian Brückner, der spricht. Robert de Niro zu synchronisieren ist für ihn nur eine Arbeit. Eine von sehr vielen.

Brückners Stimme ist beliebt. Für Dokumentationen über den 2. Weltkrieg ebenso sehr wie bei Filmen über Wölfe oder romanische Kirchen. Äusserst geschätzt ist Christian Brückner zudem als Interpret amerikanischer Literatur.

Einschüchternd männlich

Es liegt an der Stimme einer skeptischen, streckenweise bedingungslos leidenschaftlichen Neugier auf die Welt. Eine Stimme, in der immer auch ein Hauch von Verletzung mitschwingt. Das, obwohl sie einschüchternd männlich klingt.

Viele fahren darauf ab. Und Brückner weiss, sein Instrument zu spielen. Wenn er etwa Herman Melvilles Jahrhundertroman «Moby Dick» vorliest, ist man gebannt. Von der ersten bis zur letzten der 959 Seiten. Selbst detailversessene Exkurse über das Inventar eines Walfängerschiffs von 1850 lässt man sich aus Brückners Mund gerne gefallen.

Seine Frau, seine Kritikerin

Das muss wahre Liebe sein. Anders geht es wohl nicht: Waltraut Brückner ist die Frau am Regiepult, wenn Brückner Hörbücher einliest. Sie sei seine erste und wichtigste Kritikerin, sagt Christian Brückner. Wenn er von ihr spricht, wird seine Stimme weicher an den Rändern. Sehr lange schon ergänzen die beiden einander das Leben.

Sie haben zusammen zwei längst erwachsene Söhne, ein Stück gemeinsame Vergangenheit in den USA und seit 15 Jahren den eigenen Hörbuchverlag Parlando mit literarischen Delikatessen. Etwa von Raymond Carver, der Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro oder Adalbert Stifter. Aber auch irritierende Schriften wie «Das Kapital» von Karl Marx hat Parlando im Programm.

Abgeraten von Schauspielkarriere

Gefragt nach einem guten Freund unter seinen Büchern, greift er spontan zu Hölderlin. Und das allererste Buch in seinem Leben? Ein Weihnachtsgeschenk der Eltern, als der Knabe fünf ist: Hans Christian Andersens Märchen. Ein steiler Einstieg. Andersens Märchen sind so abgründig, dass auch Kinder es spüren.

Abgründe sind es, die Brückner seit jeher interessieren. Menschliche Abgründe und der Umgang damit. Vielleicht hat sich dieses Interesse bereits in der Jugendzeit in seine Stimme gelegt. Freunde jedenfalls hätten ihm früh schon von einer Schauspielkarriere abgeraten. Mit dieser Stimme – keine Chance! Aber dann hat ihn 1976 Martin Scorsese persönlich als deutsche Synchronstimme von Robert de Niro gecastet. A Star was born!

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Stummes Ringen um den richtigen Ton

Was ist das Geheimnis von Brückners Stimme? Das Geheimnis liegt wohl weniger in ihr, als in uns selbst. Wir Hörer sind es, die darauf reagieren. Mit unseren eigenen verdrängten Lüsten und Ängsten. Ein weiterer Aspekt könnte die Sorgfalt sein, die Christian Brückner seiner Stimmarbeit angedeihen lässt. Lesen ist für ihn eintauchen. Ganz.

Vorlesen wiederum bedeutet wochenlange Vorbereitung. Vorbereitung in Form eines stummen Ringens und Durchdringens. Kein einziger Satz wird laut ausgesprochen, bevor er ins Studio geht. Dort aber kommt oft schon im ersten Lauf die richtige Stimmung auf.

Jeder Satz, jeder Sinn wurde ja bereits mehrfach lautlos geknetet und hat nun seinen ganz bestimmten Ton. Am liebsten hat Brückner übrigens multiperspektivische Romane wie «Moby Dick». Da darf er mit der Sprache, die ihm der kongeniale Übersetzer Friedhelm Ratjhen vorlegt, förmlich tanzen. Brückners Geheimnis heisst wohl Leidenschaft ohne Wenn und Aber.

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