Die Hauptperson in Adelle Waldmans Erstlingsroman, Nathaniel Piven, baggert gerne arrivierte, gebildete Frauen an. Kaum hat er ihr Herz erobert, lässt er sie sitzen. Dass seine Ex-Freundinnen danach monatelang unter Liebeskummer leiden, kümmert ihn nicht. Ist es der Autorin gelungen, sich plausibel in ein männliches Hirn hineinzuschmuggeln?
Michael Krogerus: Ich finde, die Autorin hat diese Aufgabe hervorragend gemeistert: fair und völlig unparteiisch. Viele sagen ja, dass Karl Ove Knausgard das ultimative Buch über die Innenansichten eines Mannes verfasst hat. Aber wer das behauptet, hat noch nicht Adelle Waldman gelesen. So schonungslos und zugleich nüchtern, wie sie das männliche Liebesleben schildert, hat noch niemand über dieses brisante Thema geschrieben.
Waren Sie überrascht, dass es einer Frau gelang, Gedanken derart präzise zu formulieren, als wären sie von einem Mann – zum Beispiel von Ihnen – geschrieben worden?
Nein, wahrscheinlich war dazu wirklich nur eine weibliche Autorin fähig. Um ehrlich zu sein: Als Mann müsste man zu sehr die Hosen herunterlassen. Das schafft wohl kaum einer. Ich sicher nicht. Selbst Knausgard hat in seinen Büchern einige Tabu-Bereiche ausgespart, die Waldman nun zielsicher und präzise beleuchtet.
Mir gefällt, dass sie nicht auf billige Klischees hereingefallen ist: zum Beispiel, dass Männer nur an Sex denken oder eben nicht bindungsfähig sind. Vielmehr zeichnet sie ein sehr facettenreiches Bild von Nathaniel. Darum greift die Behauptung, er sei bloss ein narzisstischer Idiot, viel zu kurz.
Sie gehören mit Jahrgang 1976 zur selben Generation wie Nathaniel und sind ebenfalls in der Medien-und Verlagsbranche tätig. Fühlen Sie sich diesem Typen verbunden?
Nun, jeder, der ehrlich mit sich selbst ist, erkennt sich zum Teil wieder in Nathaniel. Was da beschrieben wird, ist einerseits das Verlieben und das Lieben. Aber dann geht es auch um das Entlieben. Wir alle kennen Phasen, in denen uns die Frau, die uns einst so gefallen hat, plötzlich fremd wird – und wie die Geschichte dann zu Ende geht.
Auffallend bei Nathaniel ist die kurze Zeitspanne zwischen Verlieben und Entlieben. Bei ihm dauert dieser Prozess oft nicht länger als ein paar Wochen.
Vielleicht verkörpert er damit ein typisches Mitglied der Multioptionsgesellschaft: Stets glaubt er, dass noch etwas Besseres kommt. Deshalb kann er sich nie wirklich zufrieden geben.
Sie geben zu, dass Sie sich zum Teil in Nathaniel wiedererkennen. Inwiefern tickt er dann eben doch anders?
Nathaniel ist ein Mann, der zu vielem im Leben Ja gesagt hat – und zu vielem nicht Nein. Und zwar aus Faulheit. Er leistete nie Beziehungsarbeit. Sobald es anstrengend wird und Frauen ihn auch emotional herausfordern, steigt er aus.
Im Unterschied zu Nathaniel habe ich dieses Engagement schon mal gelernt – durch Frauen übrigens.
Was mich als Frau an diesem Typen besonders stört, ist sein Auftreten als Frauenversteher. Er glaubt, er kenne sich aus mit Gender-Fragen, verkehre mit dem weiblichen Geschlecht auf Augenhöhe. Stattdessen ist er ein Narzisst, der Frauen primär nach Äusserlichkeiten taxiert.
Ich teile diese Beobachtung und glaube auch, dass er einen «angeklebten» Feminismus vorlebt. Er repräsentiert eine Art Sexismus der intelektuellen Elite: Hat alle wichtigen Denker der jüngeren Zeit gelesen, kann sie zitieren, aber in der Umsetzung ist er dann halt doch ein Macho der Fünfzigerjahre.
Beitrag zum Thema
Das Echo auf den Roman war enorm. Nicht nur in den USA, wo er monatelang auf den Bestsellerlisten stand. Hat Adelle Waldman damit den Nerv des Publikums getroffen?
Ja, sicher. Sie beschreibt gescheiterte Beziehungen – von denen gibt es heutzutage viele. Ihre Stärke ist es, dass sie den Verlauf des Entliebens sehr nüchtern schildert – ohne Kitsch und Romantik. Nathaniel ist ein Typ, der einfach so durchs Leben stolpert, beruflich talentiert ist, in Beziehungen hingegen oft scheitert und trotzdem immer wieder Frauen findet.
So endet der Roman: ohne Happyend und ohne grossen, dramatischen Höhepunkte. Das ist literarisch eine sehr ungewöhnliche Art, sich diesem Thema zu nähern. Aber gerade dies macht das Buch so authentisch.