Zum Inhalt springen
Gruppe im tropischen Garten.
Legende: «Tea, anyone?» – so etwa könnten die Teestunden im «Majestic» ausgesehen haben. (Original: britische Teestunde, 1922) Wikimedia/königliches Tropeninstitut

Literatur Skurril und bissig: «Troubles» von James Gordon Farrell

Ein marodes Luxushotel an der irischen Küste, schräge Gäste aus der englischen Oberschicht und ein Major in Liebesnöten: «Troubles», Farrells bissige Gesellschaftskomödie und Politsatire aus dem Jahr 1970, liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor.

Es ist das Jahr 1919. Der erste Weltkrieg ist gerade vorbei. Die englische Oberschicht atmet auf und hofft auf einen fröhlichen Sommer im Luxushotel «Majestic» an der irischen Küste. Doch das Hotel ist nicht mehr, was es einmal war und in Irland gibt es «Troubles». Zuerst sind es nur kleine Scharmützel, kleine Guerilla-Aktionen. Doch diese münden in politischen Unruhen und in den Unabhängigkeitskampf der Iren gegen die englische Herrschaft.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

James Gordon Farrell: «Troubles». Übersetzt von Manfred Allié. Verlag Mathes und Seitz, 2013.

Ein Major in Liebesnöten

Genau in dieser Zeit reist ein englischer Major nach Irland ins Hotel «Majestic». Dort wartet seine vermeintliche Braut Angela auf ihn. Der Major hatte Angela mitten im Ersten Weltkrieg während eines Urlaubs flüchtig kennengelernt und beim Weggehen geküsst. Für Angela ein Zeichen, dass sie verlobt sind. Das jedenfalls macht sie in ihren Briefen klar, die sie ihm an die Front schickt. Der Major, Ehrenmann und Gentleman, begibt sich also nach Irland, um die Sache zu klären und Angela allenfalls als Braut heimzuführen.

Doch die Reise nach Irland wird für den Major zum Abenteuer. Erstens ist das Hotel, das Angelas Vater gehört, äusserst seltsam. Das ehemalige Luxushotel, in dem sich einst die Noblesse ein Stelldichein gab, ist eine heruntergekommene Lotterbude. Zweitens versteckt sich Angela vor dem Major und stirbt, bevor er mit ihr reden kann. Drittens begegnet der Major einer rätselhaften Irin Namens Sarah, die ihn völlig in Bann nimmt. Er verliebt sich in sie, doch Sarah gängelt den Major und spielt mit ihm.

Immer wieder beschliesst der Major, Sarah und das marode Hotel zu verlassen. Doch er schafft es nicht. Er bleibt hängen und gerät mitten in den Unabhängigkeitskampf der Iren, der langsam auch im «Majestic» spürbar wird und den Major in Gefahr bringt.

Kampf um Gurkensandwiches

Küste mit Strand und Hotel
Legende: Strand in Howth, Dublin, aufgenommen 1905. Wikimedia

Der Autor James Gordon Farrell beschreibt in seinem Gesellschaftsroman vor dem Hintergrund politischer Umwälzungen eine Szenerie, die höchst komisch ist. Es wimmelt im Hotel «Majestic» nur so von skurrilen Gästen. Es sind zumeist Angehörige der englischen Upperclass. Sie alle zeichnen sich aus durch eine gewisse Schrulligkeit und mangelnde Modernität.

Angefangen beim Besitzer des Hotels. Er ist ein Landadliger, ein Exzentriker, natürlich eingefleischter Protestant und Katholikenhasser. Im Hotel leben auch eine Handvoll alter, mittelloser Damen. Es sind Karikaturen englischer Ladys, sie sind knochentrocken, spleenig und durch nichts zu erschüttern. Wenn es brenzlig wird, schnallen sie sich zum Dinner die Pistolen ihrer verstorbenen Ehemänner um das Abendkleid. Sie sorgen auch dafür, dass inmitten des Zerfalls die «Tea Time» eingehalten wird – auch wenn sie sich den Tee und die Gurkensandwiches regelrecht erkämpfen müssen.

Wuchernde Pflanzen als Vorboten des Untergangs

Das Hotel «Majestic», Schauplatz der Geschichte, hat dreihundert Zimmer. Doch viele der Zimmer sind unbewohnbar geworden. Und es passiert immer wieder, dass ein Hotelgast sein Zimmer verlassen muss, weil der Stuck von der Decke fällt oder das Waschbecken plötzlich wegbricht. So ziehen die Gäste wie Nomaden von Zimmer zu Zimmer, immer in der Hoffnung, dass das Hotel nicht über ihrem Kopf einstürzt.

Das Hotel «Majestic», baufällig und bröckelnd, steht für die Britische Präsenz in Irland. Es ist eine Metapher für ein erstarrtes System und für ein Empire, das an den Rändern langsam zu zerfallen beginnt. Ein sehr schönes Bild dafür ist das Palmenhaus des Hotels. Früher ein Ort für gemütliche Teestunde, ist es jetzt ein furchterregendes grünes Dickicht. Die Pflanzen haben die Oberhand. Sie überwuchern alles, erwürgen mit ihren Tentakeln die Lampenschirme und verdrängen die Gäste.

Diese sind gelähmt, paralysiert. Sie tun weiter so, als wäre alles in Ordnung, erschrecken nicht einmal mehr, wenn der irische Diener mit dem Teewagen plötzlich wie ein altersschwacher Gorilla aus dem Dickicht hervorbricht. Wie das marode Hotel sind auch die wild wuchernden Pflanzen im Palmenhaus Sinnbild für den Untergang der britischen Herrschaft. Die Pflanzen sind wie eine grüne Flut, die nicht aufzuhalten ist. So wie auch der irische Aufstand gegen die Engländer, meint Irlandkenner Martin Alioth.

Politische Absicht des Autors

«Troubles» ist nicht nur eine Gesellschaftskomödie sondern auch eine Politsatire. Der Autor schildert auf eindrückliche Weise den Konflikt zwischen der protestantisch-britischen Oberschicht und den katholischen Iren. Der Titel «Troubles» gibt die seltsame Schwebelage wieder von Unruhen und Wirren in den Jahren 1919-21. Es ist ein Konflikt, der zwar brutal ist, aber nie in einen wirklichen Krieg ausartet.

Im Roman schleicht sich der Konflikt langsam an. Der Autor macht das sehr clever. Die Bedrohung ist immer spürbar, anfänglich nur leicht. Man macht Witze darüber. Dann aber nähern sich die Unruhen unaufhaltsam. Der Trick von Farrell dabei: Er flicht in immer kürzeren Abständen Zeitungsmeldungen in die Geschichte ein und vermittelt so die Zuspitzung des Konfliktes.

Deutlich schält der Autor dabei auch die gegenseitigen Vorurteile heraus zwischen der britischen Oberschicht und den Iren. Die Iren gelten als schlecht erzogen, dumm, ungebildet und können kein Land regieren. Die Briten dagegen werden als Parasiten bezeichnet, die herumhängen und Golf spielen, während rundherum die Leute verhungern. Das grösste Problem ist aber der Graben zwischen irischen Katholiken und britischen Protestanten.

Bezaubernder Humor und surreale Szenerien

Über dem Hotel und der Gesellschaft liegt eine eigentümliche Lethargie. Es scheint, als bewegten sich alle verlangsamt und wie hinter einem durchsichtigen Schleier. Das hat etwas Somnambules. Die seltsamen Diener, die nie da sind, wenn man sie braucht. Die alten Damen, die verloren durch die leeren Gänge irren. All das verstärkt das Traumhafte noch und gibt dem Roman eine surreale Stimmung.

Zeichnung
Legende: Der Autor James Gordon Farrell in einer Porträtzeichnung des Künstlers Falk Nordmann. Matthes Seitz/Falk Nordmann

Das bezauberndste an Farrells «Troubles» ist aber der trockene, manchmal bissige Humor. Dieser zeigt sich einerseits in den witzigen, oft skurrilen Dialogen und andererseits in den Slapstick-artigen Szenen, in denen die Gäste aneinander vorbei reden oder sich im grossen Hotel verfehlen.

«Troubles» gilt als das lustigste Buch von James Gordon Farrell. Der Autor, der eine irische Mutter und einen englischen Vater hat, gilt – wie er selber sagt – in Irland als Engländer und in England als Ire.

«Troubles» ist der erste Teil einer Trilogie, die als sein Hauptwerk gilt. Die beiden anderen Romane spielen in Indien («Die Belagerung Krishnapurs») und in Singapur («Die Umzingelung von Singapur»). In allen drei Büchern übt Farrell Kritik am Kolonialismus und schildert den Zerfall des «British Empire». «Troubles» erschien im Jahr 1970. Vierzig Jahre später erhielt der Autor posthum den Booker Preis dafür.

Das Hotel als beliebtes Motiv in der Literatur

Farrell reiht sich mit «Troubles» in eine Tradition von Hotelromanen ein. Grandhotels wie das «Majestic» sind Ende des 19. Jahrhunderts an vielen Orten in Europa entstanden. Hotels geben viel Stoff für Erzählungen. Sie sind ein geschlossener Raum, in dem sich Charaktere aller Art begegnen. Man kann sie auf- und abtreten lassen, wie auf einer Bühne.

Und marode Hotels als Sinnbild für den Untergang einer Epoche gibt es einige. Ein Roman, der in derselben Zeit spielt wie «Troubles» ist zum Beispiel der Roman «Hotel Savoy» von Joseph Roth. Auch das «Savoy» ist ein ehemaliges Grandhotel, das an Glanz verloren hat und zur Herberge wird für Gestrandete aller Art. Es steht als Metapher für den Untergang der k. u. k. Monarchie.

Meistgelesene Artikel