Ein Mann betrügt seine Frau mit einer jungen Arbeitskollegin. «Schockfrosten» oder «Nullpunkt», mit diesen gedanklichen Wortschöpfungen verschafft die betrogene Ehefrau ihren Gefühlen Ausdruck – und verreist. Was die deutsche Autorin Angelika Overath in ihrem Roman «Sie dreht sich um» erzählt, ist nicht neu und der Verlauf der Geschichte überrascht nur wenig.
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Flucht in die Kunst
Anna Michaelis heisst die Protagonistin und gehörnte Ehefrau. Ihre Reise mit ungewissem Ausgang führt über Edinburgh nach Kopenhagen, von da nach Boston und wieder zurück bis nach Skagen, an die Nordspitze von Dänemark. Dorthin, wo zwei Meere, die Nordsee und die Ostsee, zusammenkommen – sinnbildlich so, wie sie und ihr Mann Georg im Laufe des Romans. Ein Neuanfang.
Was oberflächlich gesehen den Eindruck einer relativ banalen Geschichte erweckt – Buchklappentext und die letzten 50 Seiten des Romans hätten für diesen Plot gereicht – ist konzeptionell eigentlich spannend angelegt. Anna reist nicht einfach nach Edinburgh oder Boston, um Distanz zwischen sich und Georg zu schaffen. Sie besucht in diesen Städten Kunstgalerien. Ihre Bildbetrachtungen werden zu einem «fantastischen» Dialog mit weiblichen Rückenfiguren, Frauen, die dem Betrachter auf der Leinwand den Rücken kehren.
Eine originelle Ausgangslage wird verschenkt
Sie sieht die Rücken auf Bildern von Paul Gauguin, Edward Hopper, Jacobus Vrel, Giovanni Segantini, Vilhelm Hammershoi, Ingres oder Anna Ancher – und sie alle sprechen Anna an. Sie erzählen ihr von ihren Sehnsüchten, der Liebe, ihrem Alltag.
Eine originelle Romananlage, die aber daran scheitert, dass die sprachliche Umsetzung ohne Illustrationen nicht funktioniert. Der innere Zusammenhang der Bildbetrachtungen und der Geschichte erschliesst sich dem Leser erst am Ende des Romans. Dieser weist Längen auf und liest sich stellenweise schwerfällig.
Das ist schade. Umso mehr, weil da, wo Anna und ihr Alter Ego Anna Ancher aus ihrem Leben erzählen, Overath sprachlich eine poetische Kraft entwickelt, wie wir sie aus ihrem letzten Roman «Flughafenfische» kennen. Ein Roman, der 2009 für den Deutschen und den Schweizer Buchpreis nominiert war.
Der Seitensprung, ein Kavaliersdelikt?
Was aber an der Bilderfahrt in «Sie dreht sich um» weit mehr irritiert als ihre literarische Umsetzung, ist die Erkenntnis der Protagonistin.
Sie hat nach ihrer Kunstreise nicht nur das Gefühl, eine andere geworden zu sein, sondern auch, ihren Mann betrogen zu haben – weit mehr als er sie: durch ihre Tête-à-têtes mit den weiblichen Rücken auf den Bildern.Und das ist als Botschaft einfach unsinnig.