Mit dem Velo bergauf fahren tut weh. Schnell den Berg hinauffahren tut sehr weh. Velorennfahrer kämpfen nicht nur gegen die Konkurrenz, sie kämpfen gegen den Berg und oft gegen das Wetter. Vor allem in den Bergen. Der diesjährige Giro d‘Italia hat es gezeigt. Darum ist die Verlockung nachzuhelfen so gross. Wenn es nur ein bisschen weniger wehtut.
Die grossen Rundfahrten wie die Tour de France werden in den Bergen entschieden. Hier finden die epischen Duelle statt. Unvergesslich, wie Zülle damals Indurain stehen liess, die Etappe gewann, aber die Tour dann doch nicht. Einfach so aus der Spitzkehre raus und weg. Die Fassungslosigkeit des Abgehängten. Bergauf fahren ist nichts Schönes. Eleganz hilft am Berg gar nichts. Nur rohe Kraft.
Immer weiter hinauf
Wer hierzulande Velo fährt, kommt nicht weit, ohne bergauf zu fahren. Die einen wollen es vermeiden, die anderen wollen es wissen. Ob es auch noch ein bisschen weiter hinaufgeht. Wie es auf der anderen Seite aussieht.
Warum es Menschen gibt, die das gerne machen, ist schwierig zu verstehen. Ich gehöre zu ihnen und verstehe es selber nicht. Eigentlich bin ich faul. Ich vermeide Schmerzen. Ich glaube nicht daran, dass man sich quälen muss, um etwas zu erreichen. Trotzdem fahre ich gerne mit dem Velo über die Pässe. Natürlich nicht schnell. Ich bin kein Rennfahrer.
Faszination am Berg
Dieses Gefühl, wenn man in ein noch breites Tal hineinfährt, das immer schmaler wird und oben, weit oben, den Pass sieht oder zumindest die etwa gleichhohe Bergkante und weiss: Da fahr ich hinauf: Das ist schon etwas. Man fühlt sich klein, man bangt, ob es gut gehen wird. Man wird bescheiden. Man wird Kraft brauchen. Und Glück.
Jeder Pass ist anders
Manchmal geht es gut und manchmal weniger und manchmal fast nicht. Einen einfachen Pass gibt es nicht. Es tut immer weh. Mal unten, mal oben, mal in der Mitte. Von Süden ist es anders als von Norden. Der zweite und dritte Pass des Tages sind anders als der erste.
Trotzdem ist es gar nichts gegen das, was ein Rennfahrer am Berg leistet. Die fahren doppelt so schnell. Mindestens. Das sehe ich bei den Bergetappen, die ich am Fernsehen schaue. Während der Tour de France lese ich die Berichte über Tage in den Alpen und den Pyrenäen. Es gibt Namen, die immer wieder auftauchen und einen magischen Klang bekommen: Mont Ventoux, Galibier, Tourmalet, Alpe d’Huez, Aubisque, Madeleine und wie sie alle heissen.
Einmal wie die Profis
Die Namen und Landschaften prägen sich ein. Sie locken. Eigentlich sollte es nicht darauf ankommen, wo man welchen Berg hinauffährt. Tut es aber doch. Irgendwann will man diese sagenumwobenen Berge sehen, selber dort hinauffahren. Wo je nach Saison, schon vier Tage bevor die Tour kommt, an den besten Plätzen die Wohnmobile stehen – und weil die Schlachtenbummler sonst nichts zu tun haben, feuern sie alle an, die sich hier heraufquälen. Die Halbprofis, die Amateure, die Tourenfahrer. Ganz oben nützt auch das teuerste Velo mit der modernsten Technik nichts, wenn die Beine nicht mehr wollen. Der berüchtigte «Hammermann», der um die Ecke lauert und jene vom Velo haut, die sich überschätzt haben.
Dem Wetter ausgeliefert
Unten kann es brutal heiss sein, es kann regnen oder gar schneien, wenn man in die Höhe kommt. Das Schlimmste ist, wenn es windet. Wenn es einen wieder hinunterbläst, richtig stürmische Winde, während man doch hinauf will. Der Pass schon so nah, in Griffweite, aber jeder Tritt ein Kampf, wenn Kräfte mobilisiert werden müssen, die nicht einberechnet waren und eigentlich nicht vorhanden sind.
Einzigartige Momente
Doch dann, oben ankommen, dieser Moment, in dem es vorbei ist, das Blut in den Ohren rauscht, das Adrenalin und die Endorphine durch den Körper jagen. Die Höhenluft in der Lunge. Absteigen und durchatmen. Ich hab es geschafft. Es hat sich gelohnt. Sich umschauen, in diesen Landschaften, die ganz anders aussehen als im Fernsehen. Auf diesem Pass stehen und denken: So ist das also. Das ist der Moment, der für alles entschädigt. Die Rennfahrer haben dafür keine Zeit. Sie müssen sofort weiter. Das ist das härteste.