Massimo Gramellini erinnert sich an den Geschmack ihrer Beefsteaks in Butter. Den guten Geruch ihrer Haare, wenn er sie umarmte. Und an das letzte Mal, als sie abends im Morgenrock an seinem Bett stand. «Träum was Schönes, mein Kleiner», sind ihre letzten Worte. Am andern Tag ist seine Mutter tot.
Erst 40 Jahre später erfährt Gramellini, was damals wirklich geschah. Gesteht dann aber in einem Interview, dass er es eigentlich schon immer gewusst habe: «Aber ich habe mich damals sofort entschieden, dass ich es gar nicht genau wissen will.» Die Erwachsenen haben nie darüber gesprochen. Auch in seinem Roman «Träum was Schönes» erfährt man erst am Schluss, wie und weshalb die krebskranke Mutter sich so rasch aus dem Leben verabschiedete.
Tränen, Wut und Schuldgefühle
Im Alter von neun Jahren die Mutter zu verlieren, ist etwas vom Schlimmsten, das einem Kind passieren kann. Der kleine Massimo will es erst gar nicht glauben, dass seine geliebte Mama für immer weg ist: «Ich weinte nicht einmal nachts. Ich glaubte immer, dass ich eines Morgens aufwachen und Mama am Fussende des Bettes sehen würde. Und da sollte das Kissen nicht nass von Tränen sein.»
Der Junge durchlebt verschiedene Phasen der Trauer. Auch die der Wut auf die Mutter und diejenige der Schuldgefühle: «Was habe ich Schlimmes gemacht, um eine solche Strafe zu verdienen? Zweimal habe ich gelogen, einmal habe ich ihr eine patzige Antwort gegeben, und ich habe Riccardo, diesem Juventus-Turin-Jungen einen Tritt in den Hintern versetzt. Das schienen mir keine schweren Sünden, vor allem letzte nicht.»
Wenn Du eine andere Mama heiratest, gehe ich weg
Der Vater ist überfordert mit der neuen Rolle als Alleinerziehender. Dazu kommt, dass sein kleiner Sohn ihn ständig an die Frau erinnert, die er verloren hat. Er gibt sich alle Mühe, schafft es aber nicht, die grosse Lücke in Massimos Leben zu schliessen.
Ein Kindermädchen soll den Vater entlasten und den Kleinen etwas aufheitern. Massimo freut sich auf eine Mary Poppins, die ihn mit Küssen und Schokoladekuchen überhäufen würde. Seine einzige Sorge ist, dass sie zu hübsch sein und Papa sie heiraten könnte. Aber zum Glück ist sie nicht hübsch und Mundgeruch hat sie auch.
Gramellinis schwieriger Weg ins Erwachsenenleben
«Träum was Schönes», hat seine Mutter zu ihm gesagt. Er hingegen macht sich einen Traum nach dem anderen zunichte. Massimo Gramellini vertraut niemandem, sich selber schon gar nicht. Das Jus-Studium bricht er nach kurzer Zeit ab. Er hat es sowieso nur dem Vater zuliebe angefangen.
Der Wendepunkt in seinem Leben kommt mit der Anstellung beim «Corriere dello Sport». Massimo Gramellini schreibt in seinem autobiografischen Roman: «Endlich war ich jemand.» Er merkt, dass er schreiben kann und dass es ihm Spass macht. Er wird Fussball-Reporter und später Kriegsberichterstatter im Bosnienkrieg. Heute ist Massimo Gramellini ein bekannter Journalist, Kolumnist, Fernsehmoderator und Autor von verschiedenen Büchern.
Mutmacher-Lektüre
Massimo Gramellini hat in Italien Millionen von Lesern und Leserinnen berührt. Offenbar können sich im Land der Muttersöhnchen viele mit seinem persönlichen Unglück identifizieren. Gleichzeitig macht er mit seinem autobiografischen Roman Mut. Er zeigt, dass es einen Weg aus der Katastrophe gibt.
Wer will, findet in diesem Buch schöne Mutmacher-Sätze. Zum Beispiel denjenigen eines Lehrers, der den jungen Massimo nach einem Konflikt mal zur Seite nimmt. Er wisse schon, dass er als kleines Kind Schlimmes erlebt habe, aber er solle endlich aufhören mit seinen Ausreden. Und dann der Satz: «Am WENN erkennt man die Gescheiterten. Gross im Leben macht einen nur das TROTZDEM.»
Der Roman als Seelentherapie
Mit seinem autobiografischen Roman durchlebt Massimo Gramellini seinen ganzen Schmerz nochmal. Dabei klagt er nicht und wird auch nicht rührselig. Er ist offen und ehrlich, sogar fast hart mit sich selber und mit seinem jungen «Ich». Den Leser und die Leserin nimmt er mit und zeigt einen möglichen Weg ins Glück. Jeder kann es schaffen, auch wenn der Start ins Leben nicht rosig war.
Gramellinis Geschichte geht an Herz und lässt einen beim Lesen immer wieder schmunzeln, weil er den Schrecken grösstenteils aus der kindlich-naiven Perspektive des Buben erzählt. Es gibt dann diese Sätze, die amüsieren und gleichzeitig nachdenklich machen: «Warum sollte ich weiterhin brav sein, wenn doch niemand da war, um mich zu loben.»