Lustig ging es wahrlich nicht immer zu in der Kindheit von Laurie Lee, 1914 in England geboren. Dazu war das Leben auf dem Land einfach zu hart. Ohne die technischen Erleichterungen heutiger Zeit, und ohne das nötige Kleingeld, um es sich damals komfortabel einzurichten.
Wenn man dennoch fasziniert versinkt in «Cider mit Rosie», dann liegt das an der so erfinderischen wie sensiblen Sprache, in der Laurie Lee die Weltwahrnehmung eines Kindes erzählt: Wenn sich der Junge beispielsweise, ermüdet von den vielen Scherzen der drei älteren Schwestern, zum Mittagsschlaf legt, «gleichsam versteinert nur atmete und schaute, Sonnenpartikel im durchsonnten Raum herabschweben sah und eine Ameise vom Anfang bis zum Ende ihres Lebens kannte». Hier ist die kindliche Unendlichkeit der Zeit perfekt ausgedrückt.
Volles Leben, schräge Typen
Die Kindheitswelt ist nicht nur bevölkert von den sechs Geschwistern. Da sind auch die vielen alten Menschen – die beiden Grannies, die im Haus leben, sich über Jahre bekriegen und nie miteinander sprechen. Oder das alte Ehepaar Brown, «so innig vereint wie zwei Kastanien in einer Schale» und so alt, «als wäre das Wunder ihres langen Lebens die Alltagsfolge ihrer unverwüstlichen Liebe».
Die Illusion, hier werde ein Kindheitsidyll zelebriert, kommt dennoch nicht auf. Es wird viel gefroren und auch mal gehungert im Haus der vaterlosen Familie. Denn jener Witwer mit vier Kindern, in dem Lauries Mutter ihre grosse Liebe fand, hatte – nachdem er auch mit ihr drei Buben hatte – das Weite gesucht.
Fröhlich, hysterisch – und der Fels in der Brandung
Diese Mutter! «Von unverwüstlicher Fröhlichkeit … ein Tollpatsch, überspannt und romantisch» – wenn sie eine Woche kein Fleisch kaufen konnte, besorgte sie in der nächsten Theaterkarten für alle.
Auf ihren Mann wartete sie – 30 Jahre lang. «Ich glaube nicht, dass sie jemals erfuhr, warum er sie verlassen hatte, obwohl der Grund eigentlich auf der Hand lag. Sie war zu ehrlich und zu lebendig für diesen ängstlichen Mann, zu weit entfernt von seinen strengen Regeln. Letzten Endes war und blieb sie ein Mädchen vom Lande, unordentlich, hysterisch, mit einem grossen Herzen voller Liebe. Ein Wirrkopf, durchtrieben wie eine Elster. Sie baute ihr Nest aus Lumpen und Edelsteinen, war glücklich wenn die Sonne schien, krächzte laut, wenn Gefahr drohte, mischte sich in alles ein, unersättlich in ihrer Neugier, vergass die Mahlzeiten oder stopfte sich den ganzen Tag lang voll, und sang, wenn der Sonnenuntergang rot war.»
Die Schrecken des Dorflebens
Die Kraft dieser Mutter, auch ihre innere Freiheit den Konventionen gegenüber, muss für ihre Kinder und Stiefkinder ein Bollwerk gegen die Schrecken des Lebens auf dem Land gewesen sein. Im Dorf gab es regelmässig Selbstmorde – fatalistisch hingenommen.
Man war so abergläubisch, dass der arme Mann, der an einem Tag eine Wasserleiche fand und am nächsten erlebte, wie ein Fuhrmann zerquetscht wurde, von allen als Unglücksbringer auf Jahre hinaus gemieden wurde.
Laurie Lee erzählt eine ganze Welt – und man hört ihm liebend gern zu.