Die polnische Botschaft in Bern: Rund 20 Jungen und Mädchen sitzen auf Stühlen und spielen mit einer Lehrerin ein Ratespiel. Wer sind die polnischen Nobelpreisträger, lautet eine Frage. Schnell fällt der Name Henryk Sienkiewicz. Der Schriftsteller ist auch der Grund, weshalb die Kinder mit polnischen Wurzeln in die Botschaft eingeladen wurden. Botschafter Jaromir Sokolowski ist ein glühender Fan des Schriftstellers, dessen Todestag sich 2016 zum 100. Mal jährt.
Gemeinschaftsgefühl in Polen gestärkt
«Henryk Sienkiewicz ist für uns eine Lichtgestalt – sowohl in literarischer Hinsicht als auch in seinem politischen Wirken», sagt Botschafter Sokolowski. «Er war ein Patriot, der nicht nur mit der Feder gekämpft hat.» Denn: Der Autor sammelte Geld für die Unabhängigkeit Polens und habe in den schwierigsten politischen Zeiten an ein freies Polen geglaubt, so der Botschafter. Mit seinen Büchern habe er Bilder und Geschichten geschaffen, die ein Gemeinschaftsgefühl unter den Polinnen und Polen aufgebaut hätten.
Das wohl bekannteste Werk von Henryk Szienkewicz ist der Roman «Quo Vadis», der die Anfänge des Christentums im alten Rom beschreibt. Nun feiert die polnische Botschaft in der Schweiz den Autor. In Vitrinen findet man Erstausgaben seiner Werke, Briefe, Medaillen und eine Uhr, die in seinem Arbeitszimmer stand.
Die winzige Handschrift im «Quo Vadis»-Manuskript
Katerzina Slaska, die Vizedirektorin der polnischen Nationalbibliothek, ist mit einer fast identischen Kopie einer Seite aus dem Originalmanuskript von «Quo Vadis» nach Bern gereist. Die Kopie des Manuskripts sei so gut, dass man es kaum vom Original unterscheiden könne. Deshalb habe die Künstlerin, die die winzige Handschrift von Henryk Szienkewicz kopierte, absichtlich ein Wort weggelassen. Damit sehen Original und Kopie nicht identisch aus.
Die minuziös kopierte Manuskript-Seite befindet sich auf einem Stapel vieler Papiere, die sorgfältig in einer Pergamentschachtel aufbewahrt werden. Die Kinder, die zu Gast in der Botschaft sind, betrachten das Manuskriptpaket gebannt, hören aufmerksam zu und stellen Fragen: Die 11-jährige Maria aus Bern fasziniert vor allem die kleine Schrift. Ein Buch habe sie aber noch nicht von ihm gelesen.
«Quo Vadis» bis heute beliebt
«Quo Vadis», das Hauptwerk des polnischen Schriftstellers, wurde viele Male verfilmt – am bekanntesten ist die Hollywood-Produktion von 1951. Der Text ist zum ersten Mal vor über 100 Jahren erschienen – zunächst als Fortsetzungsroman in einer Tageszeitung.
Er ist bis heute sehr beliebt, wie man in den Kommentarspalten von Online-Buchhandlungen lesen kann. Nicht nur auf Polnisch sondern auch in Übersetzungen auf Englisch, Deutsch und Französisch.
Helden, Duelle, Liebesgeschichten
Seine Romane seien tatsächlich zeitlos, weil er Optimismus und Hoffnung in detailreich erzählte Geschichten packe, sagt die Vizedirektorin der polnischen Nationalbibliothek. Helden, grosse Liebesgeschichten, Duelle, ewige Freundschaft, heroische Tode, das seien die Ingredienzien seiner vielgelesenen Bücher.
In der Eingangshalle der Botschaft findet man ein Gästebuch. Nicht etwa von der Botschaft, sondern von jenem Hotel in Vevey, in dem der Autor bis zu seinem Tod gelebt hat. In geschwungenen, dunkelblauen Lettern steht sein Name, gleich daneben allerdings sein Todesdatum im November 1916 – zwei Jahre vor der Unabhängigkeit Polens.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 10.12.2015, 17.45 Uhr.