Den Titel «En Pièces – In Stücken» kann man durchaus wörtlich verstehen. Es gibt in diesem, wie mit einem feinen Pinsel aufgetragenen, Text ein vage konturiertes Gerüst: Ein unbekannter Mann durchstreift eine Stadt. Er trifft auf eine junge Frau. Das Paar kommt sich näher und hat schliesslich Sex. Der Mann hat möglicherweise einen kleinen kranken Sohn. Und am Ende wird er allenfalls von zwei bedrohlichen Männern angegriffen.
Viel mehr ist da aber nicht an linearer Handlung. Der Autor hat über diese Episoden nämlich eine feine Gaze gelegt, sodass die Leser die nebulösen Leerstellen individuell auffüllen können. Damit bietet dieser Text Raum für eigene Lesarten und Interpretationen.
«Ein Buch lesen mitten im Kinderlärm ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ach!, diese kleinen Teufel, die bei Tisch immer nur ihre Gläser umkippen.» In dieser Art räsoniert der Erzähler. Daraus liesse sich ableiten, dass hier ein Getriebener auf der Suche nach Ruhe ist. Dieser will sich nach dem Essen etwas hinlegen, aber da liegt schon eine fremde Frau im Bett.
Die Sprache ist die Hauptdarstellerin
Ja, vieles in Littells Buch ist geheimnisvoll. Es läuft dieser Figur nicht rund, die sich halb tagträumerisch halb, nachtwandlerisch durch verstörende Episoden bewegt. Man könnte diesem Text das Etikett «surrealistisch» verpassen und sich in Unmut darüber ergehen, dass Littell so viele Fragezeichen in diese kurze Geschichte eingebaut hat.
Aber dies spielt unter dem Strich überhaupt keine Rolle. Denn «In Stücken» ist vor allem Form, oder präziser: ein bewundernswertes Sprachfest. Littell spielt virtuos mit Attributen. Er jongliert so betörend mit Eigenschaftswörtern, dass man nicht aus dem Staunen heraus kommt.
In diesem schmalen Werk ist also die Sprache die Hauptdarstellerin. Der Text spricht für sich selbst. Er ist so sprachgesättigt, dass man auf der Bedeutungsebene nichts vermisst. Die fein ziselierte Artikulation Jonathan Littells wirkt im positiven Sinn irritierend.
Ähnlichkeiten mit dem Maler Francis Bacon
Dieses literarische Kleinod korrespondiert auf überraschende Weise mit dem Werk des irischen Malers Francis Bacon. In dessen Bildern fehlt oft auch der Fluchtpunkt, und die dargestellten Figuren scheinen sich in einem anderen Zeit-Raum-Koordinatensystem zu befinden. Bei Bacon wie bei Littell ist das Dargestellte seltsam ungreifbar.
So hält es auch Jonathan Littell in seinem labyrinthischen Mikroroman: Das Rätselhafte hält das Interesse wach. Diese Prosa ist so überreich an einzigartigen Bildern, die wir mit Staunen wie durch eine Milchglasscheibe hindurch betrachten. Und das ist schlicht betörend.