Der deutsche Autor Andreas Maier macht sich das Leben als Schriftsteller nicht einfach. Statt alle zwei bis drei Jahre einen abgeschlossenen Roman zu veröffentlichen, versucht er ein Experiment. Ein Werkstück, an dem er permanent arbeitet und durch das er Klarheit gewinnen will, über sich selbst und die Welt.
Er umkreist in einem auf elf Bände angelegten Romanzyklus seine Hauptfigur Andreas in verschiedenen Lebensabschnitten. Er beobachtet die Umgebung in der er lebt und analysiert und reflektiert seine Entwicklung und Selbstfindung.
«Ortsumgehung» – eine Roman-Reihe
Schauplatz ist die Wetterau, eine Gegend nördlich von Frankfurt. Dort, in der Stadt Friedberg wächst Andreas heran. Doch auf den umliegenden Feldern und Wiesen, wo er mit seiner ersten Liebe lange Spaziergänge unternimmt, soll eine Ortsumgehungsstrasse gebaut werden. «Ortsumgehung» ist denn auch der Titel des Romanzyklus. Es sei – meint der Autor – eine Art Racheprojekt dafür, dass diese Strasse gebaut wurde. Es schwingt in diesem Projekt also auch Zivilisations-und Gesellschaftskritik mit. Allerdings auf leise Art.
Bis jetzt sind vier Bände erschienen: «Das Zimmer», «Das Haus», «Die Strasse» und, ganz neu, «Der Ort». Andreas Maier nutzt darin erzählerisches Material aus seinem eigenen Leben. Sein Erzähler ist ein 41-jähirger Mann, der im Zimmer seines verstorbenen Onkels sitzt und sein letztes Werk schreibt. «Ein Werk, das du so lange weiterschreibst, bis du tot bist», heisst es an einer Stelle.
Wie aus der Zeit gefallen
Einen Plot oder eine Handlung haben die Romane kaum. Sie leben von Betrachtungen und Erinnerungen, die der Erzähler assoziativ aneinander reiht. Scheinbar nebensächliche Momente im Leben werden ins Zentrum gerückt und ganz nah herangezoomt. Details werden ausgeleuchtet, bis sie gross und gestochen scharf sind. Stimmungen und Eindrücke werden minutiös beschrieben. Dadurch kriegen die Texte etwas Traumwandlerisches, wie Aus-der-Zeit-Gefallenes. Sie erinnern darin an die Filme des chinesischen Regisseurs Wong Kar Wai.
Das Faszinierende an allen vier Romanen ist die Sprache. Sie ist atmosphärisch und dicht. Beim Lesen kann es geschehen, dass Gerüche, Bilder und Szenen aus der eigenen Kindheit und Jugend hochgespült werden. Andreas Maiers Sprache funktioniert dabei wie eine Art Triggerpunkt, der diese Stimmungen auslöst.
Das Bedrohliche im Untergrund
Ein weiteres Merkmal der bisher erschienen Romane des Zyklus ist das, was unterschwellig mitschwingt. Alles das, was in dem mittelständischen Milieu, in welchem die Romane spielen, nicht benannt wird, aber doch da ist. Etwas Ungutes, das unter dem Deckel gehalten wird und vor sich hin brodelt. Mit dieser Untergrundperspektive spielt Andreas Maier und verleiht den Romanen eine zusätzliche Ebene.
Wie es weitergeht, weiss Andreas Maier noch nicht. Für Band fünf gibt es erst den Titel. Doch man darf gespannt sein, wie sich die Romanfigur Andreas weiter entwickelt. Am Ende des viertens Bandes befindet sie sich in einer tiefen Identitätskrise. Wie sie da rauskommt? Man wird es lesen in Band fünf.
Die vier bisher erschienen Romane des Zyklus
«Das Zimmer»
Das Zimmer ist der erste Roman und der einzige, in dem die Hauptfigur Andreas nicht im Zentrum steht. Hier geht es um seinen Onkel. Seit Geburt leicht behindert, war er das schwarze Schaf der Familie. Andreas Maier bezeichnet ihn als «eine Art vorzivilisatorische Paradiesfigur». Er lebte ein einfaches, naturverbundenes Leben und lehnte die ökonomischen Lebensentwürfe der Nachkriegsgesellschaft ab. Für Andreas Maier ist er so etwas wie die Wächterfigur für den ganzen Zyklus.
«Das Haus»
Die Hauptfigur Andreas ist noch ein kleines Kind, introvertiert und voller Ängste. Der Roman erzählt vom Umzug in ein neues Haus sowie von den ersten Streifzügen durch das Quartier. Dazu kommen die ersten Kindergarten– und Schulerlebnisse, die für Andreas traumatisch sind. Grundstimmung des Romans ist die Angst.
«Die Strasse»
Ende der 70er-Jahre steht Andreas kurz vor der Pubertät. Er beobachtet staunend die Doktorspiele seiner älteren Schwester, lernt das Jugendheft «Bravo» kennen und spürt, dass etwas in der Luft liegt, das er nicht benennen kann, weil er es noch nicht kennt: Die Sexualität. Und ausgerechnet Alice im Wunderland bringt ihm diese näher.
«Der Ort»
Hauptfigur Andreas kommt in die Pubertät. Es ist die Zeit der wilden Partys und der langen Spaziergänge durch die Natur. Andreas erlebt den Schmerz der Liebe, lehnt sich auf gegen das Elternhaus und das Establishment. Vor allem aber entwickelt er ein Bild von sich selbst und macht mystische Erfahrungen.