Von Hörspielhinweisen in Programmzeitungen kennt man die gängigen Fotos, auf denen Schauspielerinnen und Schauspieler mit Blättern in der Hand vor einem Mikrophon stehen und sprechen. Hin und wieder gelingt ein Schnappschuss, der eine freiere Bewegung festhält. Aber die Akteure müssen immer auf das Mikrophon gerichtet bleiben. Die Situation ist – nicht nur auf dem Bild – statisch.
Entsprechend ist auch der «typische Hörspielton», wie manche Macherinnen und Macher finden. Die routinierte Umsetzung von Manuskripten befriedigt oft nicht mehr, seien es Bearbeitungen aus der klassischen Literatur oder für das Radio geschriebene neue Texte.
Vom Theater ohne Bühne zum Hörspiel
Seit der Geburt des Hörspiels in den frühen 1920er-Jahren, gab es bereits Diskussionen darüber, was Hörspiel überhaupt sei oder zu sein habe. Diejenigen, die sich für neue Möglichkeiten und Experimente interessierten, kritisierten die Live-Übertragungen von Theaterklassikern, die Schauspieler vor dem Sendemikrophon «verlasen». Alfred Döblin plädierte für eine neu zu entwickelnde Radioform, die sich vom Theater zu unterscheiden habe. Und stellte die These auf, im Radio seien Dramatik und Epik nicht voneinander unterschieden.
Dem «Theater ohne Bühne» setzte er später die Radiofassung seines Romans «Berlin Alexanderplatz» entgegen, die 1930 unter dem Hörspieltitel «Die Geschichte vom Franz Biberkopf» mit dem berühmten Schauspieler Heinrich George in der Hauptrolle gesendet wurde. Und Bertold Brecht prangerte 1927 das Radio als «vorsintflutliche Erfindung» an: Neu war die Technik, altbacken deren Anwendung.
Andere nutzten die Gelegenheit künstlerischer Arbeit ohne Vorgeschichte und festgelegte Definition durch eine Tradition. Sie experimentierten, wie etwa der Filmregisseur Walter Ruttmann, der 1930 mit seiner Tonmontage «Weekend» eine Komposition ausschliesslich aus Geräuschen schuf. Nach 1933 allerdings passte sich Ruttmann den politischen Umständen an, und stellte sich der Nazipropaganda zur Verfügung.
Live war Zwang
Im Radioalltag praktikable Aufzeichnungstechniken standen in den 20er-Jahren noch nicht zur Verfügung: Radio war also zwangsläufig live. Erste Aufzeichnungsmöglichkeiten mit Wachsplatten, die auf Schellack umgegossen wurden, kamen schrittweise hinzu. Das dadurch möglich gewordene, zeitversetzte Senden führte zunächst zu Protesten: So sehr war für die Nutzer das Medium mit Live-Leistungen identisch.
Neue Freiheiten ergaben sich erst durch Tonbänder und die entsprechenden Geräte, die 1941 auf den Markt kamen. Sie waren handlich und ermöglichten auch die feinste Schnittarbeit nach den Aufnahmen. Durch sie entwickelte sich für das Hörspiel ein freieres szenisches (oder auch monologisches) Arbeiten vor dem Mikrophon mit vielen Durchgängen derselben Szene. Nun konnte mit der nachträglichen Auswahl der besten Stellen aus allen Aufnahmen eine endgültige Fassung erstellt werden.
Beiträge zum Artikel
- «Such is life (Live)» von C. P. Salmony, J. Mayr u. a. (4.12.)
- «Sag doch auch mal was! ...» von Hermann Bohlen (7.12.)
- «Pedicatio musicalis 2 oder ...» von Mössmer, Petschinka (11.12.)
- «Der Kauf» von Paul Plamper (14.12.)
- «Das verlorene Paradies» von Tim Staffel (18.12.)
- «Treffen oder das ist nun mal...» von B. Falter u.a. (21.12.)
- «Muhmuh Mähmäh» von S. Luncke und J. M. Schäfers (25.12.)
- «Kleist-Retraite» von Schauplatz International (28.12.)
Freie Entfaltung erst ab den 50er-Jahren
Allerdings wurden diese Möglichkeiten in Deutschland erst nach dem Krieg ausgeschöpft: Die Nazipropaganda konzentrierte sich auf Radioübertragungen von Massenveranstaltungen, Reden und auf parteikonformen Journalismus. Im übrigen war sie ohnehin mehr am Film als am Hörspiel interessiert, das eher stiefmütterlich behandelt wurde.
Von den 50er-Jahren an wurde die breite Formen-Palette, die anfänglich versucht oder angedacht worden war, institutionell etabliert. Die grossen Hörspielabteilungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten pflegten diese Vielfalt – von der Klassiker-Adaptation über den Radiokrimi und die eigens fürs Radio geschrieben Vorlage bis hin zur experimentellen Klangkunst. Daraus ist eine Tradition entstanden.
Suche nach Neuland
Mit der Digitalisierung sind Aufzeichnung und Bearbeitung noch viel leichter, und selbst für Laien möglich geworden. Technisches Equipment ist heute so klein und leistungsstark, dass Originaltöne von überall her, und auch auf diskreteste Art zu beschaffen sind. Kein Reisegepäck wird erheblich belastet, kein Anlass durch grosse Installationen gestört. Im Bereich zwischen Audio-Art und Kunstfeature sind dadurch grosse akustische «Landscapes» entstanden und Porträts von Städten, die mit dem Klang ihren Charakter und Lebenspuls vorführen – Entdeckungsreisen für die Ohren.
Einer anderen Art des Porträtierens hat sich Hermann Bohlen verschrieben, der auf Flohmärkten Tonbänder aus den 60er-Jahren gefunden hat, als die Tonbandmaschine für jedermann in Mode kam und sich Familien akustisch verewigten. Bohlens Collage ist nicht nur ein humoristisch- künstlerisches Hörstück, sondern auch eine spezielle Form von Oral History, die den Geist der damaligen Zeit in einer Art wiederaufsteigen lässt, wie wohl keine Abhandlung es vermag.
Life – Live
Eine Strömung im derzeitigen Hörspielschaffen bemüht sich, Darstellende vor dem Mikrophon von einer Textvorlage zu befreien und nach verschiedenen «Spielregeln» improvisieren zu lassen: In Berlin gibt der Hörspielmacher Paul Plamper seinem Ensemble nur den Szenenverlauf vor und lässt sie diesen dann – bei laufendem Aufnahmesystem – improvisierend mehrmals durchprobieren.
Im Basler Hörspielstudio sind ebenfalls Produktionen ohne Manuskript entstanden, mit einer vom Regisseur auf die Ensemblemitglieder zugeschnittenen Vorgeschichte als Ausgangspunkt für eine Handlung, die sich bei der Arbeit erst ergab. Eingriffe der Regie in die freie Improvisation während der Aufnahmen gab es kaum. So wurde Leben vor das Mikrophon geholt und die Live-Leistung erst nachträglich bearbeitet. Unerwartetes, Uninszeniertes und authentisch klingende Momente bilden die Höhepunkte solcher Produktionen.