«Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber kann nicht wollen, was er will.» Dieses Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer ist Jens Steiners neustem Roman vorangestellt. Mit gutem Grund: Die Unfähigkeit des Menschen, sein Schicksal kraft des eigenen Willens zu gestalten, ist das Thema, das den Roman vom Anfang bis zum Ende durchzieht.
Im Zentrum der Handlung steht der junge Student Paul Kübler. Er haust am Stadtrand von Zürich in einer Einzimmerwohnung mit Kochnische, träumt einer verflossenen Liebe nach und studiert gemeinsam mit seinem besten Kumpel Magnus ohne Lust und Freude an der örtlichen Universität Philosophie.
Generation Null-Bock
Sie beide würden einer «Generation von Hasenfüssen» angehören, sinniert Paul in einem seiner zahlreichen inneren Monologe. «Auch wir trugen in unseren Herzen jenes Flämmchen, das sich wehrte gegen die Zeit, die so viel mit uns machte, was wir nicht wollten». Es ist die Trostlosigkeit und der Null-Bock einer saturierten Generation, die hier vegetiert.
Dann aber beschliessen die beiden, aus ihrer Lethargie auszubrechen und einen Coup zu landen: Sie sabotieren den Vortrag des bekannten Medienmoguls Kudelka in der Aula der Universität und stellen diesen vor dem Publikum als zynischen Kapitalisten bloss. Die beiden werden geschnappt, eine Strafe bleibt jedoch aus. Die Universitätsleitung tut die Aktion als dummen Studentenstreich ab.
Das Geheiss einer geheimnisvollen Schönheit
Ernst wird die Lage für Paul erst etwas später, als Kudelka von Unbekannten entführt wird: Die Polizei verdächtigt den Studenten, hinter der Tat zu stecken. Der unschuldige Paul weiss nicht, wie ihm geschieht.
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Mit sprachlicher Meisterschaft schildert Jens Steiner, wie sich ein kafkaesker Nebel um den Verdächtigten zu legen scheint. Ohne Plan und Ziel flieht Paul zunächst in eine Wohnung im Nachbarhaus, später – auf Geheiss einer geheimnisvollen Schönheit – per Bahn nach Marseille.
Der Einbruch des Skurrilen
Die Flucht ist voller Absurditäten: Weshalb hat ihm die Grazie geholfen? Paul begreift es so wenig wie der Leser. Damit nicht genug: Skurrile Figuren, die das Ungemach ironisch brechen, betreten die Bühne. Einmal ist es ein geheimnisvoller Herr, der darüber grübelt, weshalb Söhne ihre Väter verstossen. Ein anderes Mal wirft ein knorriger Kobold, der sich als Homunkulus vorstellt, die philosophische Grundfrage auf, ob denn der Mensch überhaupt der Schmied seines eigenen Schicksals sei. «Hast du dies alles eingefädelt?», fragt Paul den sonderlichen Gnom. Die Antwort fällt in gleichem Mass unbefriedigend wie ironisch-tiefsinnig aus: «Ich fädle nie nichts ein.»
Derartige Absurditäten, die etwa an die Romanprosa Michail Bulgakows erinnern, bilden die Stärke dieses neusten Romans von Jens Steiner, der 2013 für «Carambole» den Schweizer Buchpreis erhalten hat. Es ist die Sprache, die mit hohem Tempo Assoziationen galoppieren lässt und das Buch zu einem Lesevergnügen macht.
Konstruierte Handlung im Dienste Schopenhauers
Weniger zu überzeugen vermag die Handlung. Sie ist etwas konstruiert. Zu sehr unterwirft sie sich der Absicht des Romans: Nämlich, an der Figur Paul Küblers den schopenhauerschen Pessimismus vorzuführen. Danach ist der Welt nicht durch die Vernunft beizukommen, der Weltwille bleibt letztlich stets zutiefst irrational. Diese Anlage lässt das Buch gelegentlich als etwas gar papieren erscheinen.
Dennoch: Jens Steiner ist mit seinem nach «Hasenleben» und «Carambole» nunmehr dritten Roman erneut ein lesenswertes Werk gelungen. Leicht ist die Lektüre indessen nicht: Die Leser müssen den Kopf bei der Sache haben und die Bereitschaft mitbringen, dem Autor bei seinen gewitzt-humorvollen sprachlichen Kapriolen zu folgen und mit ihm durch überraschende geistige Welten zu turnen. Wer dies mag und wem dies gelingt, wird an diesem Buch seine Freude haben.