Eine Schönheit war dieser Christoph Martin Wieland wahrlich nicht: Von kleiner, schmächtiger Gestalt, ragt ihm eine viel zu grosse, spitze Nase aus dem blatternarbigen Gesicht. Kein Wunder, dass der junge, hochbegabte Pfarrerssohn auf seine geistigen Qualitäten setzt.
Im Alter von 19 Jahren kann er sich dann schon ein ansehliches Selbstzeugnis ausstellen - vom Können in Latein, Griechisch, Hebräisch und Mathematik bis zu seiner Liebe zur Poesie. Dieses adressiert er an den berühmten Schriftsteller und Literaturkritiker Johann Jacob Bodmer in Zürich.
Wieland der Wandelbare
Ein halbes Jahr später ist Wieland in Zürich, wird Schüler von Bodmer und polemisiert nun im Auftrag seines Lehrers gegen Gottsched, sein früheres Idol. Zwei Jahre lang wohnt Wieland bei seinem Lehrer. Eine literarische Karriere beginnt, die von einem Extrem zum anderen mäandert. Diesem verschlungenen Lebensweg folgt auch die Ausstellung im Strauhof.
Die Ausstellung folgt dem Lebensweg
Der Besucher steigt über die knarrenden Stiegen des alten Bürgerhauses und ersteigt sich so, Stufe für Stufe, Wielands literarische Karriere. Im Paterre hört er in dem eingangs zitierten Brief, dass er Gottsched verehrt, im Raum nebenan kehrt er sich von diesem ab und wird Bodmers Schüler, dann, drei Stufen höher und 10 Schritte weiter ist Wieland bereits sein schärfster Kritiker.
Auch seine eigene Dichtung ist längst nicht mehr so engelsgleich, entrückt und platonisch wie in den Anfangsjahren. Wieland wurde zum erotischen Dichter - Welten entfernt von dem, was er zu Beginn seiner Karriere geschrieben hat, wie die Kuratorin der Wieland-Ausstellung, Yvonne Häfner, erzählt.
Link zur Ausstellung
Der erste Shakespeare-Übersetzer
Wieland - das Chamäleon der Weimarer Klassik oder ein bewundernswert-beweglicher Geist? Immerhin hat er die deutsche Sprache um so schöne Worte bereichert wie «hinwegküssen», «Steckenpferd» oder «Feenkönig». Während der Besucher noch dem Klang der Worte nachlauscht, findet er sich im Salon des Grafen Stadion wieder: Wieland auf dem Weg zum Weltruhm; er wird Professor an der Universität Erfurt, übersetzt als erster Shakespeare.
Wielands Ruhm und Fluch
Wielands Literatur ist jetzt ein ganzer Kosmos, der alle geistigen Fixsterne seiner Zeit zum Leuchten bringt. Er gilt als der «Voltaire der Deutschen». Was ihm damals Ruhm einbrachte, bewirkt heute das Gegenteil: Viel zu komplex ist seine Literatur für moderne Leser. Nur mit Mühe erkennen sie hinter all den Zitaten und Anspielungen in seiner Prosa, den Kern der Geschichte. Kurz: Der Leser sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht - übrigens, auch diese Redewendung stammt von Wieland.