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Literatur Zu Gast bei Kannibalen, zuhause in einer Ruine

Gleichberechtigung war für eine Frau in den 1950er-Jahren nicht selbstverständlich. Für Katharina von Arx schon: Sie reiste per Anhalter allein um die Welt und scherte sich auch sonst nicht um Konventionen. Wilfried Meichtry hat das aufregende Leben der Schweizerin in einem Buch rekonstruiert.

Nein, die 50er waren sicher nicht die Jahre, in die sich eine Frau von heute zurückversetzen möchte. Ihr Wahlrecht in der Schweiz war noch Jahrzehnte weit entfernt, und Gleichberechtigung kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Frauen galten vielmehr als Schmuck ihres Mannes, dem sie den Haushalt führten, die Hemden bügelten und bei seiner Heimkehr von der Arbeit die Pantoffeln brachten. Wenn eine Frau schon selber arbeiten ging, dann höchstens als Sekretärin, Telefonistin oder Verkäuferin. Und wenn sie in der Öffentlichkeit auftrat, dann im Schönheitswettbewerb oder als Kuchenkönigin.

«The Hitchhiking Swiss Miss»

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Wilfried Meichtry: «Die Welt ist verkehrt, nicht wir!», Nagel & Kimche, 2015

Katharina von Arx hatte keine Lust, sich in dieses Rollenbild einzufügen. Sie war hübsch, aber kein Anhängsel, taugte weder als Sekretärin noch als Heimchen am Herd, und so zog es sie erst an die Kunsthochschule in Wien und dann hinaus in die Welt – allein, mit wenig Geld und nur ein paar Empfehlungsschreiben in der Tasche. Da war sie 25 Jahre alt. Auf nach Indien!

Die Reise wurde abenteuerlich: Eine allein reisende Frau, noch dazu in Hosen! Sie entkam mit Mühe dem Harem eines Maharadschas, sang im indischen Radio «Vo Luzern uf Weggis zue» und wurde in den USA bekannt als «Hitchhiking Swiss Miss», nachdem sie in verschiedenen Fernsehshows aufgetreten und Titelbilder von Illustrierten geziert hatte. Und so kehrte sie als angehende Berühmtheit zurück nach Zürich.

Die grosse Liebe

Zur Person

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Wilfried Meichtry ist so etwas wie der Schweizer Meister der Paar-Biografie. Aus seiner Feder stammen sowohl «Du und ich – ewig eins. Die Geschichte der Geschwister von Werra» (2001) als auch «Verliebte Feinde. Iris und Peter von Roten» (2007). Meichtrys bekanntestes Buch ist «Mani Matter. Eine Biografie» (2014).

Die angehende Berühmtheit reichte aus, um einen Verlag zu finden für das Buch über ihre Reiseabenteuer: «Nehmt mich bitte mit. Eine Weltreise per Anhalter.» Und sie reichte auch noch aus, gleich den ersten Auftrag als Reisejournalistin zu bekommen: Das Schweizer Magazin «Sie + Er» schickte sie in die Südsee, um die Königin von Tonga zu interviewen. Neben Ihrer Majestät Salote Tupou III. sollte Katharina von Arx auf dem Titelbild prangen. Das Foto bekam sie nicht. Sie bekam den Fotografen. Frédérique Drilhon wurde ihr Mann.

«Er ist im Kopf genauso ein Abenteurer gewesen wie sie, ein Romantiker war er auch», sagt Wilfried Meichtry: «Eigentlich ist er ein Reisender in jedem Sinn gewesen, unterwegs wie sie auch und das hat sie sehr verbunden und sie hat mal gesagt, sie heiratet den Mann, der sich für ihre Arbeit interessiert.»

Vom Kannibalen zum Essen eingeladen

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Katharina von Arx mit Hut
Legende: Nagel & Kimche

Katharina von Arx: «Nehmt mich bitte mit. Eine Weltreise per Anhalter», Nagel & Kimche, 2015

Fortan gingen die beiden gemeinsam auf Forschungsreisen und berichteten darüber in französischen und Schweizer Zeitschriften. Dank ihres wachsenden Renommees durften sie eine Expedition in die verbotenen Zonen Neuguineas begleiten, trafen Kannibalen und Völker, die noch nie Kontakt mit Weissen hatten. Dabei gelang Drilhon das wohl berühmteste Foto seiner Frau: Unter einer Palme sitzt sie neben Häuptling Aiua, und die beiden lächeln sich an. Es wurde das Titelbild von «Sie + Er». Später witzelte Katharina von Arx, der Kannibalenhäuptling habe sie zum Essen eingeladen.

Ein Haus für die Welt

Auf dem Weg zu einem Vortrag in Genf machten die beiden Halt in Romainmôtier, verliebten sich in ein halb verfallenes Schloss und kauften die Ruine tags darauf für 48'000 Franken. Hatte sich das Leben von Katharina von Arx und Freddy Drilhon bisher in der Weite des Raumes erstreckt, so lebten sie nun in der Tiefe der Zeit, entdeckten beim Renovieren immer ältere Schichten, die bis ins Mittelalter zurückreichten. Was die Bewohner von Romainmôtier als «Schloss» bezeichnet hatten, entpuppte sich als das «Priorhaus», weil es dem Kloster und damit seinem Prior unterstellt war. Es diente den Pilgern auf dem Jakobsweg einst als Unterkunft. Für das kulturhistorische Denkmal wurden Jahre später eine Million Franken geboten. Katharina von Arx lehnte ab.

Doch das Haus verschlang alle Energie, alles Geld, erlaubte keine Reisen mehr. Drilhon verzweifelte an diesem Leben und zog aus. Doch Katharina von Arx konnte nicht mehr zurück. Sie wollte den Geist des alten Priorhauses wiederbeleben. Wie einst für Pilgerreisende sollte es wieder ein Haus für alle sein – reiche Festgesellschaften wie arme Durchreisende. Als Katharina von Arx 2013 starb, hatte sie in dem Haus länger gelebt als alle Prioren in seiner über 900-jährigen Geschichte.

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