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Literaturgeschichte Frauen schreiben schon länger ein Wörtchen mit

Neue Erkenntnisse aus England: Frauen haben deutlich früher bedeutende Texte verfasst als von der Forschung vermutet.

Erst seit dem 12. Jahrhundert? Die englische Literaturwissenschaftlerin Diane Watt hatte so ihre Zweifel.

Also suchte sie nach früheren Belegen dafür, dass nicht nur eine männliche Elite an der schriftlichen Kultur beteiligt war. Diese Suche führte sie bis ins 7. Jahrhundert zurück – und in Nonnenklöster.

«Nicht irgendwelche Frauen»

Die ersten Autorinnen, so Watt, waren vor allem Äbtissinen und Nonnen, aber auch Adelige oder sogar Angehörige von Königshäusern, die zur Ausbildung in den Klöstern waren.

«Das waren also nicht irgendwelche Frauen», sagt Diane Watt. «Sie gehörten zur Elite.» Vor allem über religiöse Themen hätten diese Frauen geschrieben – etwa über die Lebensgeschichten von Heiligen oder über das

klösterliche Leben.

Eine Damen mittleren Alters mit kurzen hellen Haaren lacht in die Kamera
Legende: Diane Watt von der University of Surrey fand Hinweise, dass Frauen viel früher Texte geschrieben haben als angenommen. University of Surrey

Diane Watts Suche von war allerdings mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Denn die Texte wurden damals mehrheitlich in Latein verfasst – und viele anonym.

«Wer einen Text schrieb, war in der Zeit gar nicht so wichtig», erklärt Watt. Viel wichtiger sei der Inhalt gewesen. Nun – mehr als ein Jahrtausend später – sei es aber schwierig, den genauen Urheber oder die genaue Urheberin auszumachen.

Eine Nonne namens Hugeburc

Ein besonders faszinierendes Beispiel ist die Heiligenbiografie «Das Leben von Sankt Willibald», geschrieben von einer englische Nonne mit dem Namen Hugeburc. Ihr Name steht im Text allerdings nirgends explizit – sie hat ihn verschlüsselt eingebaut. Entschlüsselt wurde er erst wieder im 20. Jahrhundert.

«Hugeburc war sich wohl dessen bewusst, dass der Text mit einer Frau als expliziter Autorin schon in ihrer Zeit deutlich weniger beachtet worden wäre», mutmasst Watt. Dennoch habe sie das Bedürfnis gehabt, sich den Text selbst zuzuschreiben. Einfach in chiffrierter Form.

Von Hand geschriebenes Manuskript
Legende: Verschlüsselter Hinweis auf die Autorin: Ausschnitt aus dem Manuskript, in dem die Nonne Hugeburc ihren Namen nennt. Bayerische Staatsbibliothek, München

Für die Forschung ist es schwierig, die anonymen Texte jemandem zuzuordnen. Deshalb wurden die Texte aus dem frühen Mittelalter in der Regel einfach männlichen Autoren zugeschrieben.

Diane Watt erinnert an die erste Biografie von Papst Gregor dem Grossen, die aus dem 8. Jahrhundert stammt. Man habe sie immer einem Mönch aus dem Kloster Whitby zugeschrieben. Es gebe aber keinen Grund, das anzunehmen. «Das könnte genauso gut eine Nonne gewesen sein», sagt Diane Watt.

Whitby war ein Doppelkloster von Mönchen und Nonnen, mit gleichen Ausbildungsmöglichkeiten für beide. Im Text gebe es gute Hinweise darauf, dass er tatsächlich von einer oder gar von mehreren Nonnen geschrieben sein könnte.

Buchhinweis

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Diane Watt: «Women, Writing and Religion in England and Beyond, 650–1100», Bloomsbury Academic 2019.

«Es gibt einen starken Fokus auf Frauen als Anführerinnen in dem Text», sagt Diane Watt. Und es gehe daneben noch um etliche andere Themen, die besonders für Nonnen von Bedeutung seien.

Nach diesen Erkenntnissen ist in der älteren Literaturwissenschaft ein Umdenken angesagt. Es sei Zeit, diese alten Annahmen endlich gründlich zu hinterfragen, findet Watt. Die frühere schriftliche Kultur scheint nämlich gar nicht so ausschliesslich männlich wie angenommen.

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