In ihrem neuen Roman «Mehr als ein Leben» erzählt Milena Moser zwei Versionen eines Lebens. Eine Idee, welche die Schweizer Erfolgsautorin schon sehr lange mit sich herumgetragen hat.
SRF: Im Zentrum Ihres neuen Romans steht Helen, deren Eltern sich getrennt haben. Als sie zehn Jahre alt ist, muss sie sich entscheiden, ob sie bei der Mutter oder beim Vater leben will. Sie erzählen beide Versionen von Helens Leben. Was hat Sie an dieser Anlage gereizt?
Milena Moser: Mich hat fasziniert, wie eine Entscheidung, ein einziges Ja oder Nein, Auswirkungen hat auf das Leben nicht nur derjenigen Person, die entscheidet, sondern auch auf ihr gesamtes Umfeld.
Wie wird man zu derjenigen Person, die man ist? Ist das die zentrale Frage, der Sie im Roman nachgehen?
Für mich sind es eher Fragen wie: Wie viel Einfluss hat man tatsächlich auf sein Leben? Was ist in jemandem bereits angelegt, wie viel kann man selbst bestimmen?
Vor zehn Jahren hätte ich mir diesen Roman noch nicht zugetraut.
Meine Generation war überzeugt, alles sei möglich – die 1980er-Jahre waren eine sehr kraftvolle Zeit – aber je älter ich werde, desto mehr habe ich das Gefühl «so viel Einfluss hast du jetzt auch nicht auf dein Leben, Moser!» (lacht) . Aber eigentlich kenne ich die Antwort nicht und will ihr deshalb nachgehen.
Die Idee, mehrere Versionen des gleichen Lebens zu erzählen, begleitet Sie schon lange. Es ist ein ambitiöses Projekt, auf 600 Seiten zweimal 40 Lebensjahre zu erzählen, mit vielen unterschiedlichen Schauplätzen in der Schweiz und in San Francisco. Sind Sie beim Schreiben jemals verzweifelt an der Dichte der Geschichte?
Ich wollte das schon lange machen – und habe es mir jetzt gegönnt. Ich bin dabei aber ziemlich auf die Welt gekommen (lacht) . Zu Beginn hatte ich noch mehr Versionen und habe dann gemerkt, dass es mich überfordert.
Ich habe nicht mehr diese Wut, Enttäuschung und Bitterkeit, die ich manchmal als junge Frau empfunden habe.
Es war eine Herausforderung. Vor zehn Jahren hätte ich es mir noch nicht zugetraut. Aber jetzt dachte ich, wenn ich es jetzt nicht probiere, wann dann? Wenn ich es nicht schaffe, dann schaffe ich es halt nicht. Ich wollte die Grenzen meines Schreibens ein wenig weiter nach aussen schieben.
Viele Ihrer früheren Bücher sind geprägt von frechem, schwarzem Humor. Jetzt ist Ihr Ton viel ernster und reflektierter. Ist das der reicheren Lebenserfahrung geschuldet?
Mein erstes Buch ist vor 32 Jahren erschienen. Wenn ich heute noch die Gleiche wäre wie damals, hätte ich ein grosses Problem.
Ich schreibe über ganz normale Menschen und wie sie durchs Leben kommen.
Manchmal wird mir vorgeworfen, ich sei nicht mehr dieselbe Schriftstellerin wie damals. Das stimmt – ich habe mich verändert. Nicht im innersten Kern. Aber ich habe nicht mehr diese Wut, Enttäuschung und Bitterkeit, die ich manchmal als junge Frau empfunden habe und die meinen schwarzen Humor erst ermöglicht hat. Ich bin altersmild geworden (lacht). Heute betrachte ich die Welt nachsichtiger, zärtlicher.
Aber die Themen, die Ihnen wichtig sind, haben sich nicht verändert.
Das stimmt. Ich schreibe über normale Menschen und wie sie durchs Leben kommen. Wie sie umgehen mit dem Gefühl, nicht ganz dazu zu gehören oder nicht zu genügen.
Sie alle haben Sprünge und Kanten. Das ist meine Welt. Im Innersten hat wohl jeder Mensch Zweifel, auch wenn es von aussen betrachtet, nicht so wirkt. Und deshalb, glaube ich, kann man sich mit meinen Figuren identifizieren.
Was wünschen Sie sich für Ihren neuen Roman?
Was ich mir stets wünsche für meine Bücher: dass man sie aufschlägt und hineinfällt. Was man dann mitnimmt, hat immer mit einem selbst zu tun. Ich habe keine Botschaft. Ich erzähle eine Geschichte und hoffe, dass sie berührt und verzaubert.
Das Gespräch führte Britta Spichiger.