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Literatur Miranda Julys weiblicher Fight Club

Kunstprojekte an der Biennale in Venedig – Spielfilme, die in Cannes gewinnen – Kurzgeschichten, die international Aufsehen erregen: Miranda July macht und kann alles. Jetzt hat die US-Amerikanerin ihren ersten Roman geschrieben. «Der erste fiese Typ» ist ein gelungenes und eigenwilliges Debüt.

Sie mag Rollenspiele. Für ihr Pseudonym Miranda July hält sie mindestens fünf Erklärungen bereit. Sie ist in Vermont geboren, in Berkeley aufgewachsen und lebt in Los Angeles. Ihr eigentlicher Name ist Miranda Jennifer Grossinger, aber den hat sie mit 16 abgelegt, um frei zu sein – frei für immer neue Verwandlungen, für ein neues Spiel.

Spiele für Fortgeschrittene sind auch das Thema in ihrem ersten Roman. «Erwachsenenspiele», Filmszenen aus dem DVD-Recorder, die die zwei Frauen Cheryl und Clee zuhause nachstellen. Es sind Szenen aus Selbstverteidigungsvideos für Frauen.

Ein weiblicher Fight Club

Cheryl Glickman ist um die 40, lebt allein in ihrer New Yorker Wohnung, unglücklich verliebt in Philipp, einen deutlich älteren Mann, und arbeitet in der Agentur, die solche Videos vertreibt. Sie hat ihr Leben organisiert, peinlich genau und sehr praktisch. Das ändert sich erst, als Clee bei ihr einzieht.

Sie ist 20 Jahre jünger, die Tochter der Agentur-Chefs, und sie ist gekommen, um zu bleiben. Clee ist anders. Ziemlich schlampig und ziemlich sexy, etwas faul und etwas träge in ihrem Schlafsack, den sie in Cheryls Wohnzimmer deponiert und äusserst ungern verlässt. Bald gibt es Spannungen, Feindseligkeiten. Übergriffe, die sich irgendwann in Schlägen entladen. Spontan und hart ist die Gewalt, bevor sie Ritual wird, dann Choreographie und schliesslich Sex. Heilsam ist das für Cheryl, denn ihre zahllosen Ticks verschwinden, auch das Globussyndrom, der Kloss im Hals, die Angst beim Schlucken. Alles in ihrem privaten Fight Club.

Surreales, das leise vertraut wird

Miranda July beschreibt diese exzentrische Beziehung zweier sehr unterschiedlicher Frauen mit Drive, Witz und grosser Selbstverständlichkeit. Nichts wirkt grotesk oder nur wegen des Effekts platziert. Keine Provokation. Eher etwas schwebend Surreales, das leise vertraut wird. Im Jahrmarkt der Aufmerksamkeit ist schon das eine Leistung. Es zeigt Miranda July auf der Höhe ihres Talents.

Doch dann kommt alles anders. Clee wird schwanger und Cheryl wird das Kind aufziehen, das Kind, das sie sich in ihren seltsamen Tagträumen immer ersehnt und mit dem Fantasienamen «Kubelko Bondy» belehnt hat. Clee wird sie verlassen, für Rachel, eine Jüngere.

Buchhinweis

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Miranda July: «Der erste fiese Typ», Kiepenheuer & Witsch, 2015.

Nicht frei von Kitsch

Eine merkwürdige Heilung ist das und für das Buch fast schon ein Abstieg. Jetzt ändern sich die Tonlagen, sind nicht mehr frei von Kitsch. Katharsis durch das Kinderkriegen, das mag man glauben, oder auch nicht. Im Kopf der Heldin dieses Romans wirkt es durchaus plausibel.

Miranda July erzählt in «Der erste fiese Typ» von einer sehr eigenartigen Frau, der man sehr vieles zutraut. Am Ende auch dies. Ein gelungenes, eigenwilliges Debüt.

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