Am 1. Dezember feierte die Mundartsendung «Schnabelweid» mit einer Live-Sendung aus dem Papiersaal in Zürich ihr 25-jähriges Jubiläum. Das Motto «Gegensätze entdecken» brachte sehr verschiedene Facetten der Mundartkultur miteinander in Dialog.
Nicht alle waren da – aber fast
Der Gründer und ehemalige Redaktor der «Schnabelweid» Christian Schmid beschrieb die Sendung mit folgendem Satz:
«Die schriftdeutsche Literatur ist eingebettet in einen Betrieb und eine Betriebsamkeit, die mal laut ist, mal leise, die aber beständig vor sich her wispert und am Leben gehalten wird. Der Mundartkultur fehlt so etwas. Deshalb ist die ‹Schnabelweid› als Plattform so wichtig.»
Ausserdem erzählte Schmid von seiner ersten Begegnung mit dem damals unbekannten Pedro Lenz und dessen ersten Mundartgeschichten. Dieser dankte zum Jubiläum mit einem Text: ein Lobgesang auf die Sprachvielfalt.
Irritierte Kommentare
Der Abend begann mit einer Fluchorgie. Fluchen in der Adventszeit? Auf den Aufruf, man möge seine liebsten, schönsten und originellsten Schimpfwörter posten, gab es auf Facebook irritierte Kommentare.
Aber wo käme die Kreativität, die Bildgewalt und Klangvielfalt der Mundart deutlicher zum Ausdruck als in Fluch- und Schimpfwörtern?
Ein Fest der Wortspiele
Die in der Sendung präsentierte Sammlung von Flüchen war denn auch ein Fest der Wortspiele. Klassiker sind immer noch die verhüllten Gottesbeschwörungen: «Herrgolani», «Sack Zimänt», «Gopfertori» und «Nundedie» («nom de Dieu») – alles Verhüllungen für «Herrgott», «Sakrament» oder «Gott verdamme mich».
Höhepunkt in dieser Kategorie: «Gopfertannewald». Spricht man das laut und heftig aus, kann man die ganze Wutenergie des Tabufluchs auskosten. Erst im letzten Moment kommt die Ableitung und fährt in ein unverdächtiges Gehölz.
Zum originellsten aller Fluchwörter wurde «Gwitterchischte» nominiert. Weil das Bild eines in der Kiste gefangenen Gewitters die Fluchwut wunderbar einfängt. Weil das Wort als Fluch – «Potz Gwitterchischte nomoll» – ebenso wie als Beschimpfung – «bisch doch e Gwitterchischte» – eingesetzt werden kann.
«Verfickter Garten»
Rapper LCOne brachte schön auf den Punkt, warum gerade die Jungen so gerne und wüst fluchen. Wenn jemand einfach sage «Ich goo i Garte go Blueme pflücke», dann bleibe das niemandem in Erinnerung.
Sage man aber «I goo i verfickt Garte go die gäile Blueme pflücke», dann errege das viel mehr Aufmerksamkeit. Und um Aufmerksamkeit geht es doch schliesslich allen!
Alles sprachgewandte Exoten
Exotisch waren eigentlich alle an diesem Abend – nicht bloss der fluchende Rapper. Die Prättigauerin Margrith Ladner-Frei und der Elsässer Pierre Kretz mit ihren Dialekten, von denen viele im Saal nicht einmal wussten, dass es sie (noch) gibt.
Der Berner Autor Beat Sterchi mit seinem Aufruf, wir Deutschschweizer sollen gefälligst mehr zu unserer Muttersprache stehen. Die Dialektologen Helen Christen und Hans-Peter Schifferle, die diese Muttersprache bis auf ihre Einzelklänge und Bedeutungsnuancen sezieren und analysieren.
Die Slam-Poetin Patti Basler, in deren Text Helvetia bei einem deutschen Psychiater, der sie gar nicht versteht, auf der Couch liegt und über das Missverhältnis sinniert zwischen der Mühe, die wir uns geben, das Kerngehäuse des Apfels richtig zu benennen, und unserer Gleichgültigkeit darüber, woher dieser Apfel genau kommt.
Exotisch war auch die den Abend begleitende Band «Alpin Project» mit ihrer wunderbaren Fusion-Musik aus Volksmusik, World und DJ-Klängen.
Matto Kämpf als Erzengel Gabriel
Den Vogel schoss Matto Kämpf ab, der als Erzengel Gabriel den Schlusspunkt des Abends setzte. Mit einer Lobeshymne aufs Berndeutsch und mit der Erkenntnis: «Es git kei richtigs Läbe im falsche Dialäkt.»
Daraus gehe hervor, dass die Anwesenden im Saal «grossmeerheitlich wärtlose Abschuum» seien und durch sein Schwert umkommen müssen. Sie dürften damit wenigstens berndeutsch sterben.
Fingerdick aufgetragene Satire auf die Selbstbeweihräucherung der Dialektliebhaber. Wobei: Bei diesen Bernern weiss man ja nie, ob sie es nicht doch auch ein bisschen ernst meinen.
Sendung: Radio SRF 1, Schnabelweid , 01.12.2016, 20:03 Uhr