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Nachruf Boris Pahor: Ein Leben für den Widerstand

Er widersetzte sich nach dem Ersten Weltkrieg den italienischen Besetzern, galt als Feind der Kommunisten und Faschisten und überlebte mehrere Konzentrationslager: Boris Pahor kämpfte ein Leben lang – und schrieb die erlebten Gräuel nieder. Nun ist er im Alter von 108 Jahren gestorben.

Eindringlich beschrieb er Gräuel und den Alltag der Vernichtung in nationalsozialistischen Konzentrationslagern – wie es die dafür wohl bekanntesten Autoren Imre Kertesz und Primo Levi taten. Doch der Slowene und Italiener Boris Pahor ist wenigen ein Begriff. Auch wenn sein autobiografischer Roman «Necropoli» von 1967 zu den wichtigsten Werken der Literatur des 20. Jahrhunderts gehört.

Italiener wider Willen

Boris Pahor wurde 1913 in Triest geboren. Als Slowene. Doch 1918, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde seine Heimatstadt Italien zugesprochen. 1922 übernahm Benito Mussolini die Macht. Schon vorher war alles Slowenische in Triest verpönt.

Pahor berichtet davon, wie das slowenische Kulturzentrum von italienischen Nationalisten und Faschisten zerstört wurde. Nach 1922 waren die slowenische Kultur und Sprache bei Strafe verboten. Es entstand eine nationalslowenische Untergrundbewegung, die Slowenien vom italienischen Besatzer befreien wollte. Pahor stand mit ihr im engen Kontakt.

Zu seinen Freunden gehörten auch Dichter und Schriftsteller, die bei der TIGR mitarbeiteten, einer slowenischen Terrororganisation, die die Schaffung eines politisch autonomen Gesamtsloweniens anstrebte.

Widerstand und Haft

1940 wurde Pahor als Soldat ins italienisch besetzte Libyen geschickt. Dort erlebte er – er schrieb später darüber – wie rassistisch italienische Soldaten mit der Bevölkerung umgingen. 1943 kehrte er nach Triest zurück. Rund ein Viertel seiner Heimat war zu diesem Zeitpunkt unter italienischer Besetzung.

Pahor widersetzte sich den Italienern. Sein Widerstand war jedoch nie kommunistisch beeinflusst. Pahor stand stets den konservativen katholischen Nationalisten Sloweniens nahe, die einen unabhängigen und politisch autonomen Staat erkämpfen wollten. Er galt deshalb nicht nur als Feind der Faschisten, sondern auch der Kommunisten, die nichts unversucht liessen, die antifaschistische slowenische Untergrundbewegung zu dominieren.

Nachdem 1943 Mussolini gestürzt worden war und die Deutschen Mittel- und Norditalien besetzt hatten, kam es zu zahlreichen Massakern an der Zivilbevölkerung. Pahor schloss sich einer antifaschistischen Bewegung an. Er wirkte in Triest und der direkten Umgebung. 1944 wurde er verhaftet. Er überlebte verschiedene Konzentrationslager, darunter auch Bergen Belsen.

Italien als Wahlheimat

Nach dem Krieg studierte Pahor in Italien und begann zu schreiben. Seine Interessen lagen immer im Politischen und Autobiographischen. Wie Kertesz und Levi stellte er sich in seinen Betrachtungen immer auch die Frage, ob das persönlich erlebte Grauen auch wirklich in Worte gefasst und nachvollziehbar gemacht werden kann. Pahor hatte eine selbstkritische Erzählweise, bei der er nie ins Rührselige, ins zu Emotionale abrutschte. Seine Betrachtung jener Jahre ist eigentümlich gefasst und wirkt dadurch besonders ergreifend auf den Leser.

In den vergangenen Jahren unterstützte Pahor neben der Slowenska Skupnost, die sich um die slowenische Minderheit in Italien kümmert, auch die Südtiroler Volkspartei. In Italien gilt Boris Pahor als ein Intellektueller, der sich wie kein anderer für die Rechte von Volksminderheiten stark macht. Nicht zuletzt deshalb erhielt er hier zahlreiche wichtige Literaturpreise.

Anlässlich seines 108. Geburtstags im vergangenen August besuchte ihn der italienischen Journalisten Walter Chiereghin und überreichte ihm sein neu erschienenes Buch mit dem Titel «Boris Pahor, Schriftsteller ohne Grenzen». Zuletzt hatte sich Pahors Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert – nun ist er im Alter von 108 Jahren gestorben.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 30.05.2022, 16.30 Uhr

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