Superhelden, die ihre Superkräfte nicht einsetzen dürfen: Das ist eine ungewöhnliche Prämisse für einen Superhelden-Comic.
Jeff Lemire schwebte für «Black Hammer» jedoch von vornherein kein klassisches Superheldenabenteuer vor: «Mich interessieren die Menschen und das Leben der Menschen. Die Genre-Elemente sind Metaphern für die inneren Landschaften meiner Figuren.»
Von Superhelden und Menschen
Abraham Slam, Golden Gail, Barbalien, Colonel Weird und Madame Dragonfly – so heissen seine Figuren. Einst waren sie die strahlenden Helden von Spiral City. Nach einer besonders heftigen Schlacht jedoch erwachen sie auf einer Farm im tiefsten nordamerikanischen Nirgendwo.
Sie wissen nicht, wo sie sind. Sie wissen nicht, warum sie hier sind. Und sie können die Gegend nicht verlassen.
Ihre ausserordentlichen Fähigkeiten seien nun eine Belastung, erklärt Jeff Lemire im Gespräch. «Sie müssen sie der argewöhnischen Dorfbevölkerung gegenüber verheimlichen und so tun, als wären sie normale Menschen.»
Eishockey-Spieler in der Provinz
Zu den Superhelden ist der 1976 geborene kanadische Autor Jeff Lemire über Umwege gestossen. Er ist zwar, wie alle nordamerikanischen Buben, mit Superheldencomics aufgewachsen.
Doch erlebte er seinen Durchbruch als Autor und Zeichner von Comics mit autobiographisch grundierten Graphic Novels – wie «Essex County» über Aussenseiter, orientierungslose Teenager und Eishockey-Spieler im ländlichen Kanada.
Der Erfolg öffnete ihm die Türen der Grossverlage DC und Marvel, wo er als Autor an einigen Serien mitschrieb. Das war ihm schon bald nicht mehr genug – er beschloss, sein eigenes Superhelden-Universum zu schaffen.
Heroische Vergangenheit, banaler Alltag
In «Black Hammer» verpflanzt er nun urbane Superhelden in die Provinz und verwebt Persönliches und Psychologisches mit Versatzstücken aus dem Superheldengenre.
Heroische und spektakuläre Kämpfe gibt es allerdings nur noch in der Erinnerung der gestrandeten Helden. Diese Erinnerungen machen deutlich, dass jede Figur einiges an Verletzungen und Ballast mit sich schleppt.
Superhelden ohne Masken
«In ‹Black Hammer› geht es um Identität», sagt Lemire. «Die Figuren können sich nicht länger hinter ihrer Superhelden-Identität und ihren Masken verstecken, sondern werden zum ersten Mal mit der Frage konfrontiert, wer sie denn wirklich sind.»
Superhelden sind in «Black Hammer» also keine allmächtigen Ikonen, sondern Menschen, die sich erstmals mit anderen Menschen auseinandersetzen müssen.
Dabei erkennen sie, dass ihre übermenschlichen Fähigkeiten sie hier nicht vor sich selber, ihrer Einsamkeit, ihren Ängsten und ihrer Melancholie schützen. Im Gegenteil: Ihre Superkräfte entpuppen sich als Metaphern für ihre Schwächen.
Düstere Szenerie
Nicht Action und Spektakel sorgen in «Black Hammer» für Spannung, sondern die offenen Fragen und dunklen Geheimnisse, die psychologischen Prozesse, die alten und neuen Konflikte zwischen den orientierungslosen Heldinnen und Helden, die rätselhafte Atmosphäre im Dorf selber.
Diese unbehagliche Stimmung greift Dean Ormston in seinen Zeichnungen auf. Er entwirft eine düstere, aber satt und expressiv kolorierte Szenerie, in der sich die Figuren mit einer gewissen Steifheit bewegen.
Mit «Black Hammer» schaffen Lemire und Ormston einen ungewöhnlichen Kosmos. Dieser steckt voller Anspielungen auf klassische Superhelden, hinterfragt und reflektiert die Mythologie und Ideologie des Genres jedoch kritisch – und hebt sich deshalb deutlich ab von den stereotypen zeitgenössischen Superhelden-Spektakeln, wie wir sie aus Comics und Kino kennen.
Genres sind tolle Vehikel
Es sei falsch zu behaupten, dass man keine neuen Superhelden-Geschichten mehr erzählen könne, betont Lemire zum Schluss des Gesprächs: «Genres sind tolle Vehikel, um existenzielle Themen auf spannende Weise zu erforschen. Ein Autor muss in einem Genre etwas finden, das für ihn persönlich relevant ist, und es auf eine persönliche Weise ausdrücken. Dann schafft er automatisch etwas Neues.»
Das ist Lemire und Ormston mit «Black Hammer» gelungen. Vermutlich landet ihre dysfunktionale Superheldenfamilie schon bald auf der Leinwand: Die Filmrechte sind jedenfalls verkauft.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 21.6.18, 8.20 Uhr.