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Neuer Roman von Julia Weber Kunst, Kinder und andere Komplikationen

Die Schweizer Autorin Julia Weber erzählt in ihrem Roman «Die Vermengung» vom schwierigen Spagat zwischen Kunst, Familie, Freundschaft und Eigenleben.

Julia ist Autorin und arbeitet an ihrem zweiten Roman, als sie herausfindet, dass sie mit dem zweiten Kind schwanger ist. Was andere gern als «freudige Botschaft» bezeichnen, stürzt Julia in eine existenzielle Krise.

Bis dahin hatten Julia und ihr Partner H., ebenfalls Autor, ihren künstlerischen Beruf möglichst getrennt gehalten von ihren Eigenleben und ihrem Leben als Familie. Mit der zweiten Schwangerschaft zeichnet sich aber ab, dass das nicht mehr funktionieren wird.

Plötzlich diese tiefe Traurigkeit

Plötzlich sieht sich Julia mit gravierenden Fragen konfrontiert: Kann sie eine erfolgreiche Künstlerin, eine gute Mutter, Partnerin und Feministin zugleich sein? Ist sie in all diesen Bereichen «gut genug»? Und wie kann sie als Autorin eine Sprache finden, um über all das zu reden und zu schreiben?

Über diesen Fragen verfällt sie während der Schwangerschaft in eine tiefe Traurigkeit, aus der auch H. und ihr Freundeskreis sie kaum herausholen können. Sie macht sich Sorgen, dass sie an allen Fronten nicht mehr so gut sein wird, wie sie das gern wäre.

Wieso ist Autofiktion so beliebt?

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Von Autofiktion spricht man, wenn Autorinnen ihre eigene Biografie als Ausgangspunkt nehmen und diese dann zu einem fiktionalen Roman umschreiben. Häufig tragen die Figuren dann zum Beispiel die gleichen Namen wie die Autoren dahinter. Autofiktionale Romane treten in der Gegenwartsliteratur der letzten 20 Jahre immer häufiger auf. Wieso, erklärt Christine Lötscher, sie ist Prof. für Populäre Kulturen an der Universität Zürich.

SRF: Warum gibt es in letzter Zeit einen solchen Trend um autofiktionale Literatur?

Christine Lötscher: Viele Menschen lesen solche Bücher sehr gern – auch ich. Man bekommt durch sie den Eindruck, nah ans Empfinden einer Person heranzukommen. Autofiktion verspricht mehr Authentizität. Und das ist natürlich nah an der Populärkultur: Unser Interesse, bei Celebrities hinter die Kulissen zu schauen, ist riesig.

Was reizt Autoren und Autorinnen an dieser Form?

Viele begreifen das als künstlerische Herausforderung. Es ist auch eine Form der Selbstsuche: Wer bin ich als Mensch, der schreibt und in dieser Welt lebt? Das ist einerseits theoretisch, aber auf der anderen Seite ist es direkt im Leben verankert. Wie eine Autorin am Morgen aufsteht, wie ihr Mann in der Küche sitzt, was das Kind in diesem Moment tut – das wird alles sehr wichtig. Und daraus ergibt sich eine Spannung zwischen sinnlich konkretem Erzählen und einem theoretisch aufgeladenen Text.

Ist es nicht gar simpel, beim Schreiben einfach vom eigenen Leben auszugehen?

Im Gegenteil! Gute Autofiktion verlangt eine sehr hohe Kunstfertigkeit beim Schreiben. Sie gaukelt uns das Unmittelbare und Intime nur vor – im besten Fall so gut, dass es beim Lesen nicht einmal auffällt. Das kommt daher, wie locker man aus dem Leben erzählt, ist aber genau das Gegenteil davon: eine hochartifizielle Kunstform.

Das Gespräch führte Simon Leuthold.


Nach und nach merkt Julia, dass sich diese unterschiedlichen Lebensbereiche und Ansprüche vielleicht schon vereinbaren lassen. Aber nicht, indem sie sie trennt, sondern indem sie alles durcheinanderlaufen lässt.

Gespräche mit den Figuren

In Julia Webers Roman liest man nicht nur die Geschichte der Ich-Erzählerin Julia, sondern alle paar Seiten auch Ausschnitte aus Texten, die Julia gerade schreibt. Die Figuren in diesen Texten beginnen, Julia und ihrem Umfeld immer stärker zu ähneln.

Julia lässt sie Ähnliches erleben wie das, was sie auch gerade durchmacht. Zum Beispiel eine sehr schmerzhafte Geburt mitsamt Komplikationen, die eine ihrer erfundenen Figuren erlebt, ganz kurz nur, nachdem Julias zweites Kind zur Welt gekommen ist.

Ihre Kunst wird zu einem Weg für Julia, ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Stellenweise führt sie sogar Gespräche mit ihren erfundenen Figuren, weil sie – anders als H. und Julias Freunde – unmittelbar verstehen können, was Julia erlebt.

Die Grenzen verschwimmen

Dieses Durcheinander ist die titelgebende «Vermengung» in Julia Webers Roman. Die Autorin inszeniert diese Grenzüberschreitung zwischen der Lebensrealität ihrer Figur und der Fiktion, die «Julia» im Roman schreibt, sehr kunstfertig. Das Gewühl wird immer dichter, je weiter der Roman fortschreitet.

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Hinzu kommt, dass das Buch an sich schon die Grenze zwischen Realität und Fiktion zum Verschwimmen bringt: Julia Weber, die Autorin, die heute mit zwei Kindern und ihrem Mann in Zürich lebt, schreibt über «Julia, die Autorin, die mit ihrem zweiten Kind schwanger ist».

Damit reiht Julia Weber sich in die Tradition der sogenannten Autofiktion ein. Sie nutzt ihre eigene Biografie als Ausgangspunkt für die fiktionale Geschichte, die sie erzählt.

Die Verwirrung hat Programm

Dieses Verfahren hat in den letzten Jahren einen ziemlichen Konjunkturschub erfahren, zuletzt etwa mit den Autorinnen Julia Schoch («Das Vorkommnis») oder Rebecca Gisler («Vom Onkel»). Im Fall von Julia Webers Roman entpuppt es sich als äusserst produktiv.

Mehr zu Julia Weber

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Julia Weber im Portrait.
Legende: SRF

Mehr zum Hören und Lesen über Julia Weber gibt es auf der SRF-Literaturplattform « Ansichten ».

«Die Vermengung» ist im besten Sinne verwirrend. Das Durcheinander ist Programm dieses Buchs. Durch diese Verwirrung bekommt man beim Lesen unmittelbar mit, wie sehr das Leben dieser Autorin durch ihre zweite Schwangerschaft durcheinandergerät, wie überfordernd das sein kann.

Julia Weber erzählt einfühlsam, in simplen Sätzen, aber dennoch mit wuchtigen, und manchmal verblüffenden Bildern. «Die Vermengung» ist ein persönliches und berührendes Buch voller Poesie und Feinsinn, in das man sich gern verstricken lässt.

Buchhinweis

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Julia Weber: «Die Vermengung». Limmat Verlag, 2022.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 07.04.2022, 17:10 Uhr

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