Simon Leyland, ein begnadeter Übersetzer, ist im Leben arg gebeutelt worden: Früh verlor er seine geliebte Frau. Dann konfrontiert ihn eine schwerwiegende Diagnose mit dem baldigen Ende.
Er geht mental durch die Hölle, verkauft seinen Verlag und fragt sich, ob er sein Leben wirklich authentisch und sinnvoll gelebt hat.
Existentielle Momente
Solche Wendepunkte spielen bei Pascal Mercier immer eine entscheidende Rolle: Schon in seinem Weltbestseller «Nachtzug nach Lissabon» (2004) verlässt die Hauptfigur Hals über Kopf Wohnort und Stelle, um im fernen Portugal die Weichen nochmals völlig neu zu stellen.
Was reizt ihn als Autor an der Beschäftigung mit solchen existenziellen Momenten? «Sie geben mir die Möglichkeit, der Tiefe des Lebens auf die Spur zu kommen», sagt Peter Bieri, der als Schriftsteller unter dem Pseudonym Pascal Mercier auftritt.
Ein grosses Vermächtnis
Zu Beginn seines neuen Romans «Das Gewicht der Worte» ist auch Simon Leyland, 61, auf dem Weg in einen neuen Lebensabschnitt: Die medizinischen Prognosen haben sich zwar als Irrtum entpuppt. Doch der Verlag ist verkauft.
Leyland reist nach London, um die Villa zu besichtigen, die ihm sein Onkel vermacht hat. Verbunden ist das Erbe mit der schriftlichen Aufforderung, doch endlich selber schriftstellerisch tätig zu werden.
Die Angst vor der Wiederholung
Der lange Weg zur eigenen Stimme, zum eigenen Schreiben: Das ist ein zentrales Thema in «Das Gewicht der Worte». Man wundert sich, warum ausgerechnet ein so sprachaffiner Mensch wie der Übersetzer Simon Leyland Mühe hat, ins Autorenfach zu wechseln.
Aber die Frage sei falsch gestellt, sagt Pascal Mercier. Gerade Menschen wie Simon, der sich so intensiv mit Worten beschäftigt habe, würden die Gefahr kennen, der sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller tagtäglich aussetzen:
«Wenn sie eine Erzählung beginnen, müssen sie entscheiden in welchem Tonfall der Text daherkommt, welche Worte und Metaphern er enthält. Und sie sind stets unsicher, ob das, was sie hinschreiben, wirklich aus ihnen selbst kommt – also authentisch ist – oder Zitat, nachgemacht. Nur nachzumachen ist die grösste Furcht des Schriftstellers.»
Das Pseudonym als Schutz
Der gebürtige Berner Peter Bieri kennt diese Hemmung: Der arrivierte Philosophie-Professor wagte erst mit 50 den Schritt ins Literaturfach. Er habe Angst gehabt, das Milieu zu verlassen, «denn die Riten, Sanktionen und Gepflogenheiten, die das akademische Milieu ausmachen, sind sehr rigide und Abweichungen werden hart bestraft».
Deshalb wählte Peter Bieri – als Schutz – das Pseudonym Pascal Mercier und erklärte seinem Lektor den Grund mit den Worten: «Sie werden mich vernichten.» Sicher habe er da etwas schwarz gemalt, «aber gefährlich ist so ein Schritt allemal».
Sich selbst schonungslos kennenlernen
Mittlerweile ist Pascal Mercier längst aus dem akademischen Betrieb ausgeschieden und kann sich ganz dem Schreiben widmen. Erst in der Literatur, so sagt er im Rückblick, habe er seine wahre Bestimmung gefunden: «Ich kenne keine andere Tätigkeit, bei der es so stark darum geht, sich selber kennenzulernen, und zwar schonunglos kennenzulernen.»
Gleichzeitig gebe es für ihn keine Erfahrung, die so glücklich mache: «gerade weil sie einen so nah an einen selber heranbringt.» Ob sein Protagonist Simon Leyland dieses Glück kennenlernt – davon erzählt «Das Gewicht der Worte».
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 27.1.2020, 17:20 Uhr