Johnny liebt Eve. Auch Johnnys bester Yunho liebt Eve. Und Eve? Vielleicht liebt sie weder Johnny noch Yunho, sondern verrät sie nur. Eves wahre Identität ist ein Geheimnis. Ist sie Tänzerin oder Callgirl, oder ist sie vor allem Agentin? Und für welchen Geheimdienst?
Liebe unter einem diktatorischen Regime
Die drei Figuren stehen im Zentrum von Anna Kims neuem Roman «Die grosse Heimkehr». Darin geht es auch um die Frage: Was wissen wir wirklich über die Menschen, die wir lieben? Selbst die vertrautesten Menschen würden uns mit ihrem geheimen Leben überraschen.
Aber Anna Kims grandioser Roman wirft noch eine andere Frage auf: Haben Freunde und Geliebte wie Eve, Johnny und Yunho eine andere Wahl, als einander zu verraten? Lassen sich Freundschaft und Liebe überhaupt retten unter diktatorischen Verhältnissen?
Die Geschichte holt Südkorea ein
Anna Kim ist 1977 in Südkorea geboren. Ihre Eltern emigrierten nach Deutschland. Heute lebt sie in Wien und Berlin. Nur indem sie in ihrem Buch weit zurückblendet, kann sie uns die heutige Situation auf der koreanischen Halbinsel nahebringen.
Südkorea ist inzwischen eine Demokratie, aber die unheilvolle Geschichte holt das Land immer wieder ein. Die im Dezember 2016 wegen Korruptionsvorwürfen suspendierte Präsidentin Park Geun-hye zum Beispiel ist die Tochter von Park Chung Hee, der sich 1961 an die Macht geputscht und auch in Südkorea eine Diktatur installiert hat.
Überlebenskünstler und Verlierer
Wem gehört die Geschichte? Anna Kim stellt der von Propaganda verdunkelten und von Ausblendungen verzerrten offiziellen Geschichte ihr eigenes Geschichtspanorama entgegen.
Dafür hat sie lange recherchiert und mit vielen Zeitzeugen gesprochen. Sie zeigt in «Die grosse Heimkehr» lauter Individuen: Überlebenskünstler, Verlierer, Verfolgte, Vertriebene, oft Obdachlose.
Umerziehung und Lagerhaft
Um sich in der unfreien Gesellschaft durchzuschlagen und ein wenig Freiheit auszuleben, dürfen Eve, Johnny und Yunho notgedrungen nicht zimperlich sein. Plötzlich sind Eve und Johnny in einen Mord verwickelt und müssen nach Japan fliehen.
Yunho folgt ihnen. Im koreanischen Viertel von Osaka sind sie alles andere als willkommen. Nicht selten mit Psychoterror und Erpressung wird versucht, die Flüchtlinge nach Nordkorea abzuschieben. Tatsächlich wurden Migranten bis in die 1980er Jahre – übrigens koordiniert vom Roten Kreuz – per Schiff in die sogenannte «Demokratische Volksrepublik» Nordkorea gebracht.
Unfreiwillig nach Hause gehen
Man nannte das: «die grosse Heimkehr». Dort erwartete sie oft kein neues Leben, sondern «Umerziehung», Zwangsarbeit, Lagerhaft und Tod. Auch Johnny entscheidet sich am Ende des Buches nicht ganz freiwillig zur grossen Heimkehr.
Anna Kims «Die grosse Heimkehr» ist eine Wucht: Das Werk hat den langen Atem eines historischen Romans, und zugleich stockt einem der Atem wie in einem Spionageroman.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, 52 Beste Bücher, 22.01.2017, 11 Uhr