In ihrem neuen Buch «Männer in Kamelhaarmänteln» lernen wir die Schriftstellerin und messerscharfe Literaturkritikerin Elke Heidenreich auf eine neue, sehr persönliche Art kennen.
Heidenreich greift in die Klamottenkiste und erinnert sich anhand von Röcken, Jacken und Hüten an frühere Erlebnisse. Eine bunte, schmucke Geschichtensammlung: amüsant und melancholisch.
SRF: Die Protagonisten Ihres neuen Werkes sind Kleider, die Sie an zauberhafte, bitter-süsse Episoden aus Ihrem Leben erinnern. Wie kam es zu diesem Buch?
Elke Heidenreich: Ich habe bei den Salzburger Festspielen die Eröffnungsrede gehalten – ohne davor zu wissen, wie gross dieser Event ist. Ich trug ein gepunktetes Kleid meiner Mutter von 1935, das fast auseinanderfiel, und eine Samtjacke darüber, weil das Kleid Mottenlöcher am Rücken hatte. Aber es gab mir Kraft.
Ich verliebe mich stundenweise in schöne Kellner. Ich bin immer schnell entflammt.
Nach dem Vortrag war ich fix und fertig und habe mich auf dem Klo erholt. Dann hörte ich, wie zwei österreichische Damen sagten: «Also die Heidenreich: gescheit ist sie schon, aber fesch ist sie nicht.» Ich bin rausgegangen und habe zu den beiden eleganten Damen gesagt: «Aber fesch seid doch Ihr».
Das ist meine Lieblingsgeschichte aus dem Buch und die einzige 100 Prozent wahre. Mit ihr fing alles an. Die wollte ich erzählen. Fesch bin ich nicht. Aber «gscheit» ist auch schön, oder?
Und wie! Immer wieder erinnern Sie sich anhand eines Kleidungsstückes an verflossene Lieben, vor allem aber ans Verliebtsein. Warum so explizit?
Wenn man verliebt ist, will man doch besonders schön sein. Man zieht sich 15 Mal um und am Ende hat man doch die alten Jeans an. Zudem verliebe ich mich auch stundenweise in schöne Kellner. Ich bin immer schnell entflammt. So gibt es auch Klamotten, bei denen ich entflammt bin.
Wie kam es zu dem Titel des Buches?
Mein Vater war ein Frauenheld, der früh aus meinem Leben verschwand. Er trug oft Kamelhaarmäntel.
Sie schreiben, dass Sie ein unglückliches Kind waren, das Kleider – im Winter mit derber Cordhose drunter – tragen musste. Mit 16 entschieden Sie sich aber für den schwarzen Rolli. Warum?
Wir sind Kinder der Nachkriegszeit. Von Eltern aufgezogen, die nicht glücklich waren, im Krieg noch ein Kind bekommen zu haben. Sie waren mit dem Wiederaufbau beschäftigt und wir waren auf uns gestellt.
Mit 16 haben wir angefangen, die Existentialisten zu lesen: Camus , Sartre , Beckett. Und wie die haben auch wir schwarz getragen. Wir haben Kette geraucht, filterlose Zigaretten. Und: Wir haben angefangen zu denken. Es war aber alles Ausdruck inneren Unglücks und Einsamkeit.
Ich gucke das Kleid an und denke: Warte nur, irgendwann passe ich rein.
Bei einem Besuch in Venedig haben Sie ein Kleid gekauft, von dem Sie wussten, dass es Ihnen nicht passen würde, ohne es anzuprobieren. Ein Frustkauf?
Nein, das Kleid war einfach so schön, ein Juwel der Schneiderkunst. Das musste ich haben. Aber vielleicht werde ich eine kleine, verhutzelte Oma und passe rein. Dann wird’s mein Totenkleid. Es hängt bei mir, erinnert mich an Venedig. Ich gucke es an und denke: Warte nur, irgendwann passe ich rein.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Kleiderschrank nicht nur voller Erinnerungen steckt, sondern auch überquillt?
Klar. Ich begreife aber allmählich, dass diese ewige Klamottenkauferei Quatsch ist. In Corona-Zeiten misten wir ja alle aus. Aufräumen und nie mehr so aufstocken wie zuvor. Eine gute Idee.
Das Gespräch führte Nicole Salathé.