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Literatur Neuigkeiten vom Lieblingsfeind Eckhard Henscheid

Der grosse Rechthaber der deutschen Literatur hat seine Autobiographie geschrieben. «Denkwürdigkeiten. Aus meinem Leben» ist ihr unbescheidener Titel. Es ist die bitterböse Lebensbilanz eines Unversöhnten.

Eckard Henscheid besitzt eine Gabe für treffende Titel. Das war schon so bei seiner «Trilogie des laufenden Schwachsinns» in den 70er-Jahren und das ist auch jetzt so, bei seinen Lebenserinnerungen, mit dem leicht antiquierten Titel «Denkwürdigkeiten – Aus meinem Leben».

Denkwürdigkeiten, das klingt unzeitgemäss. Das klingt nach 19. Jahrhundert, nach Hamann oder Varnhagen von Ense. So unzeitgemäss wie der Einband des neuen Buches, der aussieht wie die Cover früher Simmel Romane. Schon das ist Absicht, natürlich.

Ein Antiautoritärer über das grosse Geschwätz

Henscheids Romane und Erzählungen stehen gegen ihre Zeit: von den «Vollidioten» 1973 über «Maria Schnee» 1988 bis «10:9 für Stroh» 1998. Hier schreibt ein Antiautoritärer, einer gegen alle. Ein später Nachfahre der Romantiker spricht. Abweichungen sind seine Norm, im Stil und in den Themen.

Eckhard Henscheids Lebensthema ist das grosse Geschwätz. Es ist das allgemeine Gerede, der endlos narkotisierende Sound der Öffentlichkeit. Henscheids Bücher verwandeln zur Kenntlichkeit, was sie dort tagtäglich an «Dreck und Müll und Spam und Schrott» in sich aufnehmen. Karl Kraus hat das vorgeführt und Henscheid tut es ihm nach, wie sonst kaum einer unter den deutschsprachigen Schriftstellern.

Lieblingsfeinde: Reich-Raniki, Jelinek und andere Bekannte

«Dummdeutsch» nennt er ein Lexikon, das den Jargon seiner Zeit als weitgehend sinnfrei auflistet. Phrasen, ebenso populär wie gedankenarm. Leeres Geschwätz in massenhafter Verbreitung. Das geht gegen die Medien, aber auch gegen den Kulturbetrieb, gegen die literarischen Repräsentanten jener und dieser Tage. Gegen Walser, Böll und Grass, gegen Herta Müller und Elfriede Jelinek. «Lieblingsfeinde – eine Bilanz» sind die letzten 50 Seiten dieser Memoiren überschrieben.

Buchhinweis

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Eckhard Henscheid: «Denkwürdigkeiten. Aus meinem Leben» Verlag Schöffling & Co., 2013

Auch Luise Rinser tritt darin auf und Marcel Reich-Ranicki, ein Lieblingsfeind seit ehedem und zeitweilig Henscheids Nachbar in Frankfurt am Main. Oder die Prozessgegner von einst, wie Gertrud Höhler und die Böll-Erben. «Öffentliche Streitfälle» allesamt, auf die der Autor ohne Reue zurückblickt. Von Altersmilde keine Spur, obwohl sich ein Mann von über 70 Jahren an sein Leben erinnert.

Neue Frankfurter Schule

Henscheid, der Mann, der keine Schulen bilden wollte, hat dennoch lange einer angehört: der «Neuen Frankfurter Schule». Diese verfremdet die sogenannte «Frankfurter Schule» um den Philosophen Theodor W. Adorno, ohne ihren (gesellschafts-)kritischen Kern zu verleugnen. Robert Gernhardt, F. W. Bernstein und F. K. Waechter sind seine Mitstreiter im Kreis der Zeitschriften «Pardon» und «Titanic». Pastiche und Parodie sind die Mittel damals, wo der Philosoph heute wieder so etwas wie das kritische Gravitationszentrum des Buches ist.

Kulturkampf, immer und überall

Sprunghaft bisweilen geht Eckhard Henscheid die sieben Jahrzehnte seines Lebens ab, von 1941 bis 2011. Von sehr frühem Bierkonsum ist die Rede und von frühem Widerspruchsgeist, von der frühen Leidenschaft für Fussball und für Richard Wagner, für Opern allgemein. Was sonst? Von Kampf ist die Rede, von Kulturkampf und Kulturkrampf an oft schon längst vergessenen Fronten. Fragmente, aufgegebene Romananfänge. Stilfragen. Witzig ist das zu lesen und aufschlussreich, weil Henscheid nie den Helden und nie den Märtyrer gibt.

Was bleibt? Einer, der nicht untergeht

Aberwitzig sind die Vorkommnisse oft und der Autor mittendrin, immer auf Augenhöhe mit den Anderen. Abenteuerlich sind seine frechen Sticheleien: «Tranige Edelschickeriaprosa» (Botho Strauss), «Wichtigkeitskasper» (Günter Grass), «Literaturpapst? Kegelbruder!» (Marcel Reich-Ranicki). Immer abenteuerlich ist Henscheids Syntax, sein ganz eigener, eigenwilliger Stil, ohne Scheu vor Neologismen und sehr eigenen Sprachmarotten.

«Was bleibt?», fragt der Autor sich am Ende selbst. Der ganz alltägliche Wahnsinn könnte man antworten – und einer, der darin bislang nicht unterging: «Geht in Ordnung-sowieso--genau ---».

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