Der neue Messias kommt in Gestalt von George Clooney, Ministranten stolpern über ihre Gewänder und anständige Mädchen bluten nur an hohen Feiertagen: Das alles gibt es im neuen Lyrikband von Nora Gomringer. Sie dichtet mit viel Lust und Schalk, am liebsten über kontroverse Themen, wie sie sagt.
SRF: I st dichten eine Art beten für Sie?
Nora Gomringer: Ich glaube nicht, dass ich das Dichten dem Beten gleichsetzen mag. Es ist eher eine Auseinandersetzung mit dem Glauben. Allerdings waren die Gedichte zuerst näher am Gebet. Das habe ich auf Wunsch des Verlegers aber geändert.
Der Band heisst «Gottesanbieterin», eine Anspielung auf das Insekt Gottesanbeterin. Was bieten Sie denn an?
Naja, ich biete sicher kein Glaubensbekenntnis an. Es sind eher Gedanken, die mich umtreiben.
Ich hatte nie ein Phase des tiefen Zweifels
Ich bin Christin und Fragen rund um den Glauben und die Rolle der katholischen Kirche beschäftigen mich und finden daher auch ihren Niederschlag in meinem künstlerischen Schaffen.
Feministin und bekennende Katholikin, wie geht das zusammen?
Es gibt berechtigte Kritik an der Kirche. Deshalb ist es wichtig, den Diskurs auch innerhalb der Kirche zu führen. Es muss sich etwas ändern, gerade was die Sexualmoral oder die Rolle der Frau betrifft. Ich bin in der Kirche, weil ich mich als Kirchgängerin einmischen möchte. Ich verstehe es – gerade als Feministin – als Herausforderung, mich zu engagieren und den Weg der Ökumene zu gehen.
In der Kulturszene braucht es wohl schon fast Mut, sich als Katholikin zu «outen». Wie reagieren Sie auf Unverständnis?
Ich bin katholisch aufgewachsen. Als Kind habe ich sehr positive Erfahrungen gemacht mit der Kirche. Ich war auch Ministrantin. Der Glaube ist in mir drin. Ich hatte nie eine Phase des tiefen Zweifels an Gott und dem Glauben. Von daher verunsichert mich das Unverständnis nicht.
Sie schlagen vor, dass der neue Messias – falls er demnächst käme – aussehen sollte wie Schauspieler George Clooney. Wieso?
(lacht) Ich habe natürlich grossen Spass, mit so was zu spielen. Und Clooney kommt gut an. Der neue Messias müsste auf jeden Fall ein Medienprodukt sein.
Und er hätte einen Social-Media-Berater dabei, der sich um seine Follower kümmert. Aber, wer weiss, vielleicht ist er ja schon längst wieder unter uns …
Wie viel Schalk verträgt die Religion?
Der Glaube verträgt ganz viel. Das sieht man etwa daran, dass die katholische Kirche mit ihren sinnesfreudigen Gottesdiensten einen Ausgleich bietet zum Leidgedanken, der ja auch Bestandteil ist des Glaubens.
Mir gefällt deshalb das Showartige im Gottesdienst: Wenn man singt, sich die Hände reicht, der Weihrauch geschwenkt wird und die Wandlung – das heiligste Moment in der Messe – zelebriert wird. Das hat Ähnlichkeit mit der Performance auf der Bühne.
Nicht nur der Glaube ist ein Thema in ihren Gedichten, auch die Liebe und Tinder. Sind Sie auch auf der Dating-App Tinder?
Ja, ich habe eine Zeit lang getindert und habe da sogar meinen jetzigen Partner kennengelernt. Ich habe das Tindern als Bereicherung erfahren und zumeist gute Erfahrungen damit gemacht. Es gab allerdings auch unangenehme Momente.
Vor allem mit Männern, die mich verurteilt und sich nur mit mir getroffen haben, um mir zu sagen, wie verdorben ich sei. Ihnen hat missfallen, dass ich selbstbewusst aufgetreten bin und offen gesagt habe, dass ich nur an einer Begegnung, nicht aber an einer Beziehung interessiert bin.
Wie preisen Sie sich auf Tinder denn an?
Ich habe mich in meinem Tinder-Spruch gut gelaunt und humorvoll gegeben. Vor allem aber unverblümt und ehrlich. Es gab Männer, die meine Offenheit irritiert hat.
Gerade darüber sind aber gute Gespräche entstanden. Ich habe erfahren, dass die Männer glauben, sie müssten sich auch auf Tinder – der Plattform, wo es doch eigentlich nur um das Eine geht – immer noch wie Ritter gebärden. Also Frauen hofieren. Das stört sie. Aber es geht nun mal auch auf Tinder nicht ohne Respekt und Höflichkeit.
Das Gespräch führte Esther Schneider.