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Statue von Ovid in der rumänischen Stadt Constanta.
Legende: Statue von Ovid in der rumänischen Stadt Constanta – hierhin wurde er vom römischen Kaisers Augustus verbannt. Flickr/www.bdmundo.com

Ode an einen Sprachkünstler Von Liebe bis Krieg: Ovid fasziniert seit 2000 Jahren

Ovids Werk ist ein Schatz von Motiven, ein Sprachkunstwerk, ein Meilenstein der Kulturgeschichte. Vor 2000 Jahren starb der grosse Dichter der klassisch-lateinischen Zeit. Ein subjektiver Blick auf den Schöpfer der «Metamorphosen».

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der römische Dichter Ovid beschrieb vor 2000 Jahren die Welt und die Menschen in präzisen und schönen Texten.
  • Das zentrale Werk «Metamorphosen» umfasst 15 Bände. In Hexameter-Versen gibt es 250 Sagen und Mythen wieder.

Man kann Ovids Geschichten einfach geniessen, sich von der Schönheit und Präzision seiner Sprache betören lassen, ihren Rhythmus spüren.

Man kann mit ihnen die Natur durchstreifen und erfahren, weshalb die Früchte des Maulbeerbaums schwarz sind (vom Blut von Pyramus und Thisbe), warum der Fluss Paktolos Gold führt (es wurde aus dem Körper des reumütigen Midas gewaschen), weswegen der Lorbeerbaum auf Griechisch «daphne» heisst (weil die Nymphe Daphne sich auf der Flucht vor dem lüsternen Apollo in ein solches Gewächs verwandeln liess, sodass er sie nicht erwischte).

«Realistische» Geschichten

Man kann mit Ovids Texten lernen, wie der Mensch funktioniert. Es sind «Urgeschichten», wie die Autorin Gabrielle Alioth sagt. Sie hat unlängst eine Ovid-Anthologie herausgegeben.

Es sind «realistische» Geschichten, wie es die Münchner Latinistin Therese Fuhrer formuliert. Denn die Menschen sind, wie sie sind. Manchmal «gewaltsam, nach grimmigem Morde lüstern (…), aus Blut entstandene Wesen» (Met. I, 162).

Vier Weltzeitalter

Mein «Metamorphosen»-Favorit steht im ersten der 15 Bücher (Met. I, 89-162): Ovids Beschreibung der vier Weltzeitalter. Zuerst entstand das Goldene Zeitalter, das ohne Richter, aus eigenem Antrieb, Rechte und Treue pflegte. Strafe und Furcht waren fern, Gesetze gab es nicht, ohne Angst vor Sanktionen lebten alle sicher:

Aurea prima sata (e)st aetas, quae vindice nullo,/ sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat./ Poena metusqu(e) aberant nec verba minantia fixo/ aere legebantur nec supplex turba timebat/ iudicis ora sui, sed erant sine vindice tuti.

Ovid beschreibt hier gewissermassen das Paradies, das Schlaraffenland. Auf der Welt herrscht ewiger Frühling. Doch der Gott Saturn, einst selbst durch Verbrechen an die Macht gekommen, wird von seinem Sohn Jupiter entmachtet und in die Unterwelt geworfen.

Publius Ovidius Naso

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Ovid.
Legende: Getty Images/Hulton Archive

Ovid wurde 43 v. Chr. in den Abruzzen geboren. In Rom wurde er in Rhetorik unterrichtet. Gleich sein Debut, die Liebesgedichte der «Amores», waren erfolgreich, die freizügige «Ars amatoria» ein Skandal. Weltberühmt sind die «Metamorphosen», in denen er 250 Mythen verarbeitet. Anno 8 n. Chr. verbannte ihn Augustus; Ovid starb im Jahr 17 im Exil.

Jedes nur erdenkliche Übel

«Subiit argentea proles»: Da entstand ein silbernes Geschlecht, geringer als das goldene, wertvoller jedoch noch als Bronze. Jetzt verkürzte Jupiter den Frühling, er liess den Winter entstehen, den heissen Sommer und veränderliche Herbste. Nun mussten die Menschen auf dem Feld schuften.

«Tertia post illam successit aenea proles (…) protinus irrupit venae peioris in aevum omne nefas»: Als drittes entstand danach ein ehernes Geschlecht, grimmiger von Gemüt und bereiter zu schrecklichen Waffen, «aber noch ohne Verbrechen». Jedes nur erdenkliche Übel brach in diese Zeit ein.

Die Redlichkeit liegt zertreten

«De duro est ultima ferro»: Das letzte Geschlecht nun besteht aus hartem Eisen. Der Mensch macht sich die Natur untertan, er beutet die Natur, das Ackerland, die Bodenschätze aus. Diese verlocken zum Bösen: das schädliche Eisen und – «schlimmer als Eisen» – das Gold.

Es entstand der Krieg, der mit beiden Metallen kämpft. Nun leben die Menschen von Raub, Betrug und Mord, «victa iacet pietas»: Die Redlichkeit liegt zertreten.

Ein kraftvoller Text. Habgier, Neid, Machthunger, Brutalität, Krieg. Man glaubt, Ovid beschreibe nicht nur seine Gegenwart, sondern auch die unsrige.

«Ite triumphales circum mea tempora laurus»

«Komm, Lorbeer des Triumphs, umgebe meine Schläfen» (Am. 2, XII, 1): Ovid erschöpft sich natürlich nicht in realistischem Pessimismus, in einem Abgesang auf die hehren Werte.

Wer Leichteres mag, Spielerisches, auch mit einem Schuss Ironie Gewürztes, greife zur «Ars amatoria», der Anleitung in Liebesdingen. Der Dichter gibt hier praktische Tipps, wo eine Frau kennenzulernen und wie ihre Gunst – vielleicht – zu gewinnen ist. Diese Tricks lassen sich, mit einem Schmunzeln, noch heute verwenden, scheint doch das menschliche Naturell wenig veränderlich.

Jede menschliche Lebenslage

Oder nehmen Sie die «Amores» zur Hand, ein Reissen, Sehen, Schmachten, Wüten, ein Auf und Ab des intensivsten aller Gefühle, ein Panoptikum amourösen Wahnsinns.

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Und auch die «Metamorphosen», aus denen die gerade zitierte Düsternis stammt, sind nicht ein Garten der Dunkelheit. Es finden sich darin auch leichtere Themen:

  • Liebe (etwa die herzzerreissend tragische Geschichte von Pyramus und Thisbe, Met. IV, 55-166)
  • Rechtschaffenheit (Philemon und Baucis, Met. VIII, 611-724)
  • Selbstüberschätzung (Daedalus und Ikarus, Met. VIII, 183-235)

Und so weiter – in den 250 Sagen und Mythen der «Metamorphosen» spiegelt sich jede menschliche Lebenslage.

Latine non loquimini?

Sie können kein Latein? Trotzdem brauchen Sie nicht auf die Schönheit der ovidschen Sprache zu verzichten.

Buchhinweise

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  • Gabrielle Alioth: «Alles wandelt sich – Echos auf Ovid». Bookspot Verlag, 2016.
  • Ovid: «Metamorphosen», deutsch von Hermann Breitenbach . Reclam, 1986.

Die «Metamorphosen»-Übersetzung des Schweizer Latinisten Herrmann Breitenbach, 1958 erstmals erschienen und als 788 Seiten dicker Reclam-Band weiterhin erhältlich, ist selbst ein Kunstwerk.

Breitenbach dichtet die «Metamorphosen» in Hexametern nach, dem Versmass von Ovids lateinischem Text, und bleibt dabei nah am Originaltext, nah an seinen Subtilitäten, seiner Leichtigkeit. Legite, quaeso. Lesen Sie, bitte.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 03.07.2017, 09:02 Uhr

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