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Österreichischer Shootingstar Kunst und Koks: Stefanie Sargnagels erster Roman

Tweets und Cartoons kann sie. Nun veröffentlicht Stefanie Sargnagel einen Coming-Of-Age-Roman. Wird die Rebellin seriös?

Wien in den Nullerjahren. Michi wohnt im Gemeindebau. In seiner 30-Quadratmeter-Wohnung spielt sich die Jugend von Steffi und ihren Freunden ab. Es wird gesoffen, gekifft, gedealt und über Thomas Bernhard geredet.

Vom Vollsuff in die Hochkultur?

Obwohl Michi ein solides Alkoholproblem und keine Arbeit hat, kümmert er sich um Steffi. Die Mutter arbeitet, der Vater ist abwesend und Steffi bricht die Schule ab.

Wer jetzt denkt: Was für eine schlimme Jugend, täuscht sich: «Es ist keine tragische Jugendgeschichte, ich hatte ja durchaus Spass. Sobald ich Michi kennengelernt habe, schrieb ich in meinem Blog viel verspielter und gewitzter», sagt die Wienerin Stefanie Sargnagel, aus deren Feder die Schilderungen ihrer Jugend voller Party und Poesie stammen.

Auf Facebook gross geworden

Man fragt sich beim Lesen immer wieder: Wie viel Bier passt in diesen Körper? Und wie zur Hölle kann man trotz riesiger Joints derart poetisch bleiben?

Ihren Zugang zur Sprache hat Stefanie Sargnagel in jener Zeit gefunden. Ihre Beobachtungsgabe schärfte die Tagediebin zusammen mit Michi beim Herumstrolchen.

Mit ihren Tweets, Cartoons und Statusmeldungen wurde die Wienerin zur Facebook-Autorin und zum Internet-Phänomen. 2016 las sie beim Ingeborg Bachmann Wettbewerb in Klagenfurt und nahm den Publikumspreis mit nach Hause.

Aus über 1000 Blogeinträgen, die sie zwischen 15 und 19 geschrieben hat, entstand nun der Coming-Of-Age Roman. Aber wie schreibt man über sein 15-Jähriges Ich?

«Der Anfang war schwer, weil wir da noch sehr naiv sind», sagt Sargnagel. «Bei den Aufzeichnungen mit 18 hatte ich meinen Erzählstil eher gefunden. Aber auch da war alles toll, alles flashig, aber nicht sehr ehrlich.»

Begnadete Krawallautorin

«Ich weiss nicht, ob ich jetzt auch noch Bücher machen muss», sagte Stefanie Sargnagel bei einem Treffen 2017 in Wien. Damals erschien ihr Buch «Statusmeldungen»: 300 Seiten gesammelte Facebook-Posts und dazu selbstgezeichnete Cartoons.

Sie verstand sich als Künstlerin, Humoristin vielleicht, aber nicht als Autorin. Heute ist sie Romanautorin. Für den Literaturbetrieb zumindest: «Man versucht Künstler immer einzuordnen, das war bei mir schwierig, weil es komische Kunst ist.»

Beachtlich ist auch, dass sie bei den vielen Figuren, die im Buch auftreten, den Überblick nicht verloren hat: «Meine Lektorin hat immer wieder gefragt: Wer ist das jetzt schon wieder? Ich habe Remixes gemacht von Persönlichkeiten. Es gab Freunde, die waren ganz beleidigt, dass sie nicht vorkommen.»

Der Erste wird der Letzte sein

«Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin» ist ein autofiktionaler Roman.

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"Das Genie" Foto von @annahawliczek

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Stefanie Sargnagel ist dafür bekannt, dass sie nichts anbrennen lässt und hat ihre Mutter vorgewarnt: «Vielleicht könnte ich das Buch nicht schreiben, wenn ich heute in der Psychiatrie sitzen würde. Ich hätte vielleicht sogar einen anderen Weg eingeschlagen, wenn ich das nicht alles mitgemacht hätte. Es ist ja alles gut gegangen.»

Buchhinweis

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Stefanie Sargnagel: «Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin.» Rowohlt, 2020.

Sie wollte diese eine Geschichte von Michi erzählen und dafür war der Roman die richtige Erzählform. Nochmal etwas Längeres will sie aber nicht schreiben. Ihre Jugend ist nun erzählt.

«Mein Bedürfnis, Texte ins Internet zu stellen hat nachgelassen, weil ich dieses Buch schreiben musste. Vielleicht war's das jetzt auch und ich mache eine Illustrationsfortbildung oder T-Shirts. »

Kurz fürchtet man um die Stille im Internet. Nein. Wenige Tage nach unserem Gespräch twittert sie wieder: «Soll ich mir eine Suppe vom Spar holen?».

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 13.10.2020, 17:10 Uhr

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