- Der preisgekrönte Schriftsteller und Publizist Navid Kermani äussert sich regelmässig zur Weltlage .
- Sein neues Kinderbuch «Ayda, Bär und Hase» erzählt von einem kleinen Mädchen, dessen Leben eine unerwartete Wende nimmt, weil es daran glaubt .
- Die Erkenntnis im Buch gilt laut Kermani auch für unsere Gesellschaft: « Nur die Aussicht auf Veränderung erzeugt Begeisterung , niemals der Status quo.»
Ayda ist fünf Jahre alt und so klein, dass sie alle «Knirps» nennen. Mit dem Knirps mag keines der Kindergartenkinder durch den Eigelstein ziehen, das lebhafte Quartier gleich hinter dem Kölner Dom. Und so bleibt Ayda zunehmend verzweifelt zurück. Baba, Aydas iranischer Vater, tröstet seine Tochter: Es wird gut werden, mein Kind, du musst nur dran glauben.
Überraschende Wende
Reichlich naiv, denkt sich Ayda, und radelt auf eigene Faust los, rheinabwärts, bis weit hinter die Stadtgrenze, blind vor Wut und Trauer. Doch sie fällt hin, schlägt sich den Ellbogen blutig und verstaucht sich den Knöchel. Heulend bleibt sie liegen.
An dieser Stelle nimmt das Buch von Navid Kermani eine überraschende Wende: Weder Aydas Eltern, noch die reuigen Kindergartenkinder, noch ein Polizeitrupp tauchen auf, sondern Bär und Hase eilen zu Hilfe und tragen Ayda behutsam nachhause.
Aufs Unmögliche hoffen
Was nun seinerseits naiv klingt, ist es in diesem von Karsten Teich anrührend illustrierten Kinderbuch an keiner Stelle. Aus verschiedenen Gründen ist Kermanis Schicksalswende mit Bär und Hase sogar ganz zauberhaft. Zum ersten weil deutlich wird: Dran glauben heisst nicht, mit dem Möglichen zu rechnen, sondern aufs Unmögliche zu hoffen – und mit etwas Glück zu erfahren: Es ereignet sich doch!
Zum zweiten: Das unmöglich Scheinende, Utopische kann sich sogar ganz prima in die Realität einfügen. Ayda, Bär und Hase werden nicht nur zu den besten Freunden, sie werden zu den Helden des ganzen Quartiers.
Fremdartig erscheint der Auftritt der beiden Tiere im Buch stets nur für kurze Momente. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass es im multikulturellen Eigelstein, in dem das Buch spielt, «fremd» gar nicht gibt. Die Menschen scheinen die Überraschung gewohnt, weil sie sie immer wieder erleben.
Eine Frage der Perspektive
Und drittens: Es ist alles eine Frage der Perspektive. Der Bär wirkt anfangs fürchterlich gross, aber er selber ist noch ein Kind und lehnt sich gern auch mal an. Der Hase wiederum ist zwar klein und selber ein «Knirps», doch er ist älter als der Bär und Ayda und ist der Vernünftige im Bunde.
Die Botschaft des Buches, dass man «dran glauben muss», liest sich wie eine Antithese zum resignierenden TINA-Prinzip («There Is No Alternative»). Doch, es gibt die Alternative, sagt uns Kermani, aber sie ist so überraschend, dass wir in erster Linie an sie glauben müssen.
Aussicht auf Veränderung
Diese Idee findet sich auch in Navid Kermanis fulminanter Dankesrede zur Verleihung des Marion Dönhoff Preises , deren Lektüre sich unbedingt lohnt: «Nur die Aussicht auf Veränderung erzeugt Begeisterung, niemals der Status quo, so kommod er auch sein mag.»
Die liberale Gesellschaft müsse sich wieder zu eigen machen, was den Populisten derzeit offenkundig gelinge: Sie müsse wieder Angebote machen, die überraschen, begeistern und von Veränderung handeln. Gerade Europa, so ist Kermani überzeugt, sei als aufklärerische Idee dazu prädestiniert. Und an sie müssen wir weiter glauben.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 05.02.2017, 11:00 Uhr