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Literatur «Prinzessinnen»: Geschichte einer modernen Lolita

Mit ihrem Debut machte Marie Darrieussecq Furore: «Schweinerei» wurde 1997 allein in Frankreich fast 200'000 Mal verkauft. Jetzt ist die Skandalautorin mit einem neuen Roman über die Pubertät junger Mädchen zurück. Tabus werden auch hier gebrochen – aber es geht um mehr.

Nicolas Sarkozy gibt den Anstoss: Das intellektuelle, bürgerliche Frankreich protestiert vehement, als der Präsident der Republik 2009 einen Roman aus dem 17. Jahrhundert von der Prüfungsliste der Universität streichen lässt: «Die Prinzessin von Clèves» von Madame de la Fayette.

Die mediale Aufmerksamkeit ist also sicher, als Marie Darrieussecq ihr «Prinzessinnen» veröffentlicht: Der Roman ist die moderne Antwort auf den französischen Klassiker von 1678. Ging es damals um Keuschheit, so geht es nun um Sex, um fast nichts als Sex, um die Mädchen von Clèves in der baskischen Provinz.

Abschied von der Kindheit

Buchhinweis

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Marie Darrieussecq: «Prinzessinnen.» Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Hanser, 2013.

«Sie haben» – «Es tun» – «Es wieder tun»: Die erste Regel, der erste Sex, mehr Sex. Das sind die drei Stationen im «Coming of Age»-Programm dieses Romans. Solange, halb Sonne, halb Engel ist die Hauptfigur: Ein Teenager in der Pubertät in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Zum Soundtrack von «Like a Virgin» und «Billie Jean» sieht man alles durch ihren Kopf, den Abschied von der Kindheit und die seltsamen Initiationsriten der Erwachsenenwelt.

Das Prinzip gilt: «Man muss es getan haben, aber diskret, stilvoll, nicht unmässig.» So sollte es laufen. Aber so läuft es eher nicht bei Solange, mit Arnaud nicht und schon gar nicht mit Monsieur Bihoz, dem väterlichen Nachbarn, den sie verführt, aus einer Laune heraus – und dann allein zurücklässt. Solange ist auch «Lolita», nur unter umgedrehten Vorzeichen. Sie ist fremd im eigenen Körper, in dauernder Konkurrenz zu allen Anderen. Die Eltern abwesend, auch wenn sie doch einmal in der Nähe sind.

Reizvolle Momentaufnahmen einer Pubertierenden

Marie Darieussecq an einer Pressekonferenz.
Legende: Marie Darieussecq an der Literaturwoche in Strassburg, 2001. Wikimedia / Ji-Elle

Für die Arbeit an «Prinzessinnen» benutzt Marie Darieussecq ihren alten Kassettenrecorder. Ein Tagebuch auf Tonband, das die Autorin, die selbst aus Bayonne stammt, während ihrer eigenen Pubertät führte. Seine Direktheit, seine Gedankensprünge und Abschweifungen haben sich im Roman entfaltet und in Literatur verwandelt.

Nicht die deutlichen Sexszenen sind es, die den eigentümlichen Sog dieses Romans ausmachen. Es sind die sprunghaft gelebten Gedanken im Kopf der Solange. Es sind Momentaufnahmen, Gedankensplitter von ein paar Zeilen Länge oder mal einer halben Seite, die diesem Text Form geben und seinen sehr besonderen Charme.

«Prinzessinnen» ist kein Porno, es ist auch nicht voyeuristisch, kaum ein wirklicher Tabubruch. Es ist ein grosses Durcheinander und eine grosse Intensität darin. Marie Darrieussecq hat ein spannendes Buch über die Irrwege der Pubertät geschrieben.

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