Verstorbene sind recht kommunikativ. Zumindest bei Robert Seethaler. Allerdings neigen sie zu Monologen. Sie blicken auf ihr Leben zurück, ohne es zu bilanzieren. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt: Was bleibt vom Leben?
Diese Frage treibt den 51-jährigen Österreicher Robert Seethaler seit 30 Jahren um. Eigentlich kann sie nur ein Toter beantworten, der auf das ganze Leben zurückblicken kann. Oder eben ein Schriftsteller, der sich in der Fantasie in die Perspektive von Verstorbenen hineinversetzen kann.
Man hat ja Zeit
Seethaler gibt 29 Toten eine Stimme, die alle auf dem Friedhof des fiktiven Ortes Paulstadt ruhen, von den Einheimischen das «Feld» genannt.
Eine Frau sagt nur ein einziges Wort: «Idioten.» Die Mehrzahl aber breitet sich in der engen Gruft ganz gerne aus. Man hat ja Zeit.
Der ehemalige Bürgermeister, der es zu Lebzeiten bunt und vor allem korrupt trieb, spricht noch immer, als adressiere er sich an seine Wähler. Unter den Stimmen ist auch der frühere Pfarrer, der im Wahn die eigene Kirche abfackelte.
Was bleibt, sind 67 Tage
In manchen Episoden sucht Seethaler das Durchlässige zwischen Leben und Tod. Eine Frau versucht sich an den Moment zu erinnern, als sie endgültig Abschied vom geliebten Partner nahm.
Eine andere Frau erzählt, wie sie erst im Sanatorium ihre beste Freundin kennengelernt hat. Beide haben wegen eines unheilbaren Tumors schon den Tod vor Augen. Ihre Vergangenheit ist längst «auserzählt». Was bleibt, ist die dünne Gegenwart von 67 Tagen, in denen sie das Glück einer Freundschaft erleben.
Können sich Lebende und Tote verstehen?
Nur ein alter Mann lebt anfangs noch. Täglich setzt er sich auf seine Bank im Paulstädter Friedhof. Er glaubt, die Stimmen der Toten zu hören und stellt sich vor, wie sie über ihr vergangenes Leben nachdenken.
Am Schluss des Romans ist der alte Mann selber tot und begraben. Er zweifelt mehr denn je, ob Lebende und Tote einander verstehen können. «Es gibt Ahnungen. Und es gibt Erinnerungen. Beide können täuschen.»
Toten-Trend in der Literatur
In letzter Zeit könnte der Eindruck entstehen, die Toten aller Länder hätten sich zu einer Lobby vereinigt und würden nun vermehrt Druck auf noch lebende Schriftsteller machen, damit sie ihnen eine Stimme verleihen.
Erst sorgte die junge US-Autorin Jesmyn Ward für Furore mit ihrem Südstaaten-Epos «Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt». Die mutige Art, wie sie darin Lebende und Tote darstellt, brachte ihr den National Book Award ein.
Noch virtuoser erweckt George Saunders in seinem Roman «Lincoln in Bardo» Tote zu neuem literarischem Leben. Er erhielt dafür den Booker Prize.
Eine Geschichte von ganz unten
Nun also Robert Seethaler, der wieder einen anderen Zugang findet, um Tote ins Zentrum zu stellen und dabei doch vor allem das Leben besingt. Ihm gelingt in seinem Roman «Das Feld» eine Kunst des Weglassens. Nichts wirkt gewollt kunstvoll. Seine Figuren sind aufs Allerwesentlichste reduziert, fast wie Skulpturen von Alberto Giacometti.
Mit der Zeit ergeben sich immer mehr Verbindungen zwischen den Verstorbenen. Es entsteht die Geschichte einer Kleinstadt vom Zweiten Weltkrieg bis heute. Eine Geschichte von ganz unten. Und sie ist so bewegend erzählt, dass sie seit Wochen ganz oben auf den Bestsellerlisten steht.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 4.7.2018, 17:10 Uhr.