Drei scheinbar unzusammenhängende Teile, ein Thema: Ungleichheit, in immer neuen Mustern. Klingt erst mal etwas verkopft, auch nicht gerade sexy, ist aber gewagt, gescheit und süffig.
«Asymmetrie» erforscht Ungleichheit mit einer Fülle literarischer Mittel und zeigt wie in einem Episodenfilm Berührungspunkte unterschiedlichster Lebenswirklichkeiten.
Eine ungleiche Liebesbeziehung
In den USA ist «Asymmetrie» ein Bestseller. Der erste Teil verursachte ziemlichen Wirbel: Es geht da um die Liebesbeziehung zwischen der jungen Verlagsassistentin Alice und dem über 40 Jahre älteren Starautor Ezra.
Pikant: Lisa Halliday war als junge Frau mit dem kürzlich verstorbenen Autor Philip Roth liiert. Enthüllt «Asymmetrie» also Intimes über den Literaturgiganten?
Fiktion oder Realität?
«Ich habe nicht einfach aufgeschrieben, was mir passiert ist und dann die Namen geändert, wie es immer wieder suggeriert wird», sagt die Autorin Lisa Halliday.
Die 41-Jährige, die seit Langem mit Mann und Kind in Mailand lebt und eng mit Philip Roth befreundet blieb, besteht darauf: Der erste Teil ihres Romans sei genauso fiktiv wie der zweite, der auch nicht gänzlich erfunden ist.
Erfahrung völliger Willkür
Halliday geriet als junge Vielfliegerin zwischen New York und London, dem Wohnort ihres damaligen Freundes und heutigen Mannes, am Flughafen Heathrow in eine Überprüfungsfalle. Erst nach vielen Stunden wurde sie entlassen und mit einer einjährigen Einreisesperre belegt. Diese Erfahrung völliger Willkür liegt dem zweiten Teil von «Asymmetrie» zugrunde.
Amar, ein junger amerikanisch-irakischer Ökonom auf dem Weg von San Francisco an die irakische Grenze, wird in Heathrow ohne Nennung von Gründen tagelang festgehalten.
Zwischen den Verhören erzählt er seine Lebens- und Familiengeschichte. Darin enthalten: die Tragik des Herkunftslands seiner Eltern und die US-amerikanischen Verhältnisse in den 2000er-Jahren, in denen «Asymmetrie» hauptsächlich spielt.
Der zweite Teil liest sich mit seinem lyrischen Ton ganz anders als der erste, in dem Alice das Wort hat – in der dritten Person und mit Tendenz zum Slapstick, für den ihr die Alt-Jung-Asymmetrie reichlich Material liefert.
Verführung statt intimer Geständnisse
Als Coda folgt dann die Abschrift einer Talkshow. Der Autor Ezra hat etwas zu sagen, aber die Moderatorin will nur intime Geständnisse hören. Also dreht er den Spiess um und versucht sie dreist zu verführen.
Dass die Geschichten Alices, Amars und Ezras mit all ihren Ungleichgewichten auf den ersten Blick ohne Zusammenhang scheinen, sei Absicht, sagt Lisa Halliday: «Ich wollte Aha-Effekte auslösen, was unsere fixen Vorstellungen und die eigentliche Realität betrifft. Die drei Teile meines Romans sollten anfänglich also etwas schräg wirken. Dann aber sollte erfahrbar werden, dass ich dreimal hintereinander erzähle, was es heisst, in der Welt zu leben.»
Ungleichheit nicht ignorieren
Lisa Halliday weitet diese Erzählung in viele Nebenfiguren: Ein Vater mit Wahnideen. Eine Nachbarin, die in die Demenz abgleitet. Ein Kind, das beide Geschlechter in sich trägt. Ein Bettler, ein Entführungsopfer, ein Söldner – sie alle sind Teil des Spiegelkabinetts einer kippeligen und gespaltenen Realität.
Ungleichheit ist nicht aus der Welt zu schaffen. «Asymmetrie» zeigt, dass das noch lange kein Grund ist, sie zu ignorieren.