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Roman: Feminismus in den USA «Habe ich das Recht, sauer zu sein?»

In ihrem neuen Roman verarbeitet Meg Wolitzer 50 Jahre Feminismus in den USA. Weil sie darin auch sexuelle Übergriffe thematisiert und den Rückschlag der Frauenbewegung unter Trump vorweggenommen hat, trifft «Das weibliche Prinzip» einen Nerv.

Meg Wolitzer

Schriftstellerin

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Meg Worlitzer, geboren 28. Mai 1959, ist eine US-amerikanische Autorin. Mit 23 veröffentlichte sie ihren ersten von zahlreichen preisgekrönten Romanen. Zu ihren Bestsellern gehören «Die Interessanten» (2014) und «Die Stellung» (2015) und ihr Roman «Die Ehefrau» (2016), der mit Glenn Close in der Hauptrolle verfilmt wurde. In ihrem neusten Buch «Das weibliche Prinzip» erzählt sie von zwei Frauen, die um Selbstbestimmung kämpfen. Wolitzer ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in New York City.

SRF: «Das weibliche Prinzip» wird als das Buch der Stunde gefeiert. Ehrt Sie dieses Lob?

Meg Wolitzer: Diese Bezeichnung ist mir neu. Es ist schön, das zu hören. Aber Romane sind nicht dazu gedacht, Teil des 24-stündigen Nachrichtenzyklus zu sein, sie sind nicht so flüchtig.

Die Autorin Mary Gordon meint, der Roman sei das Gegenteil eines Tweets. Das stimmt. In dieser undifferenzierten Gesellschaft können Romane differenziert erzählen.

Es ist wichtig, Menschen über Ungerechtigkeiten sprechen zu hören, die sie erlitten haben.

«Das weibliche Prinzip» ist nicht an einen Moment gebunden. Ich habe den Roman vor fast vier Jahren begonnen. Das Buch dreht sich um Macht und Frauenhass – Themen, über die ich seit Langem nachdenke.

In Ihrer Erzählung appeliert eine Ikone des Feminismus an junge Frauen, den altmodischen Begriff «Schwesternschaft» ernstzunehmen. Ist die #MeToo-Debatte ein Beispiel von gelebter «Schwesternschaft»?

Ja, sicher. Sie sorgt vor allem dafür, dass Frauen einander ihre Geschichten erzählen können. Für die Gleichberechtigung ist es von Bedeutung, wer in der Gesellschaft eine Stimme hat, wer seine Geschichte erzählen darf, wessen Geschichte wichtig und wahr ist.

Was hat die #MeToo-Debatte den Frauen tatsächlich gebracht?

Für die Gesellschaft ist es wichtig, Menschen über Ungerechtigkeiten sprechen zu hören, die sie erlitten haben. Wir stehen da noch am Anfang.

Wir beginnen, auf neue Arten zu sprechen. Der Diskurs ist heute intensiver und zugespitzter.

Einiges verläuft auch chaotisch. Es geschehen Fehler und sie werden auch weiterhin vorkommen. Trotzdem halte ich die #MeToo-Debatte für entscheidend.

Sexuelle Übergriffe sind schon lange ein Thema der feministischen Bewegung. Sie wurden nicht erst durch #MeToo publik. Was ist neu an der Debatte?

Frauen haben das Gefühl, dass viel mehr auf dem Spiel steht, seit Donald Trump Präsident ist. Jemand, der auf Band damit prahlt, Frauen belästigt zu haben, ist geradezu surreal.

Habe ich das Recht, sauer zu sein?

Manch eine denkt sich: «Wir müssen etwas unternehmen.» In diesem Zusammenhang bietet natürlich das Internet enorme Möglichkeiten.

In Ihrem Roman begegnet die junge Studentin Greer bei einem Vortrag im College erstmals der viel älteren Feministin Faith Frank – und ist wie vom Blitz getroffen. Danach spielt Faith Frank eine zentrale Rolle in ihrem Leben. Wie konnte das so plötzlich geschehen?

Es geht um diesen Moment, in dem man meint, die Worte einer Rednerin wären nur an einen selbst gerichtet, obwohl sie zu einem grossen Publikum spricht. Genau das erlebt Greer. Sie wurde kurz vorher bei einer Collegeparty begrapscht und weiss nicht, wie sie damit umgehen soll.

Dann ist da diese charismatische und inspirierende Faith, die ihre Worte direkt an sie zu richten scheint. Wenn man sich selbst nie ernst genommen hat und auch nicht weiss, wohin es im Leben gehen soll, und plötzlich auf jemanden trifft, den man bewundert, der Lebenserfahrung hat und der Dinge sagt, die einem gefallen – das kann dem Leben eine neue Richtung geben.

Der Roman «Das weibliche Prinzip»

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Im Mittelpunkt von Meg Wolitzers neuem Roman «Das weibliche Prinzip» stehen zwei Frauen: Faith Frank, 63, eine Ikone der US-Frauenbewegung und Greer Kadetzky, 18, eine schüchterne College-Studentin, die Faith an einem Vortrag begegnet und dank ihr politisiert wird. Nach Abschluss ihres Studiums wird sie auch einige Jahre in Frauenprojekten der prominenten Mentorin mitarbeiten, bis ein Konflikt die enge Beziehung der beiden radikal zerstört. Im Streit zwischen Greer und Faith spiegelt sich auch der aktuelle Clinch zwischen der jungen und der alten Generation von US-Feministinnen.

Nie wird Meg Wolitzer dogmatisch, sondern bleibt den Erzählmerkmalen der «great american novel» treu: oppulent, fabulierend, tiefgründig, humorvoll und mit grosser Wärme für ihre auch widersprüchlichen Figuren.

  • Meg Wolitzer « Das weibliche Prinzip». DuMont, 2018.

Steckt in Greer auch ein bisschen die junge Meg Wolitzer?

Ich habe nie gern autobiografisch geschrieben. Lieber erfinde ich meine Figuren. Deshalb bin ich mit meinen Heldinnen und Helden auch nicht gleichzusetzen. Aber es gibt eine Beschreibung Greers nach ihrem demütigenden Erlebnis an der Party, als ihr Gesicht glüht und ihre Stimme heiser ist – so habe ich mich auch manchmal gefühlt.

Jungen Frauen und Mädchen kann es passieren, dass sie nicht handfest belästigt, aber angeglotzt oder angemacht werden, und dann denken: «Ist da wirklich etwas gewesen? Habe ich das Recht, sauer zu sein? Soll ich mich beschweren oder die Sache einfach runterschlucken? Ist das halt so, wenn man eine Frau ist?»

Diese Verunsicherung ist ein gängiges Gefühl. Greers fehlendes Selbstbewusstsein im Hinblick auf ihr Erlebnis gehört eindeutig zu den Erfahrungen, die ich in dieser Lebensphase auch gemacht habe.

Das Gespräch führte Luzia Stettler.

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