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Geschichte eines Extremisten
Aus Kontext vom 17.06.2019. Bild: Imago/Sven Simon
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Roman «Home Fire» Ein IS-Kämpfer will nach Hause

Aneeka kämpft für die Rückführung ihres Bruders. Doch der IS-Kämpfer darf die Grenze auch tot nicht überqueren.

Am Anfang stand ein Stückauftrag: Ein befreundeter Theaterleiter bat die britisch-pakistanische Doppelbürgerin Kamila Shamsie, etwas für die Bühne zu schreiben.

Weil Shamsie dafür ein passender Stoff fehlte, schlug er ihr «Antigone» von Sophokles vor. Er war sich sicher: Aktualisierte Versionen von Klassikern seien derzeit beim Publikum sehr beliebt.

Ganz alt, aber ganz aktuell

Kamila Shamsie kannte die Tragödie «Antigone» vom Studium her: Polyneikes führt Krieg gegen die eigene Stadt und wird dabei getötet. Als Rache verweigert Kreon, der Herrscher von Theben, die Beerdigung von Polyneikes innerhalb der Stadtmauern. Schwester Antigone setzt sich über dieses Gesetz hinweg und wird zur Strafe bei lebendigem Leib eingemauert.

Buchhinweis

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Kamila Shamsie: Hausbrand. Aus dem Englischen von Nikolaus Hansen. Piper-Verlag, 2018.

«Beim Wiederlesen des Stücks war ich erschüttert über die aktuellen Bezüge», sagt Kamila Shamsie. In jener Zeit sorgten gerade junge Britinnen und Briten für Schlagzeilen. Sie verliessen das Land, um sich dem IS anzuschliessen. Daraufhin forderte die damalige Innenministerin Theresa May, dass man diesen Menschen sofort die Staatsbürgerschaft entziehen müsse.

Heimweh

Kamila Shamsie hatte also ihr Thema. Sie machte daraus aber kein Theaterstück, sondern einen Roman.

«Home Fire» – auf Deutsch «Hausbrand» – erzählt die Geschichte von Parvaiz, der dem Ruf des IS nach Syrien folgt. Bald erkennt er: Das ist nicht sein Leben.

Seine Verzweiflung formuliert sich in einem Telefonat an seine Zwillingsschwester Aneeka: «Ich kann hier nicht bleiben. Ich kann einfach nicht. Sie haben meinen Pass, also muss ich, aber ich kann es nicht. Ich hab gedacht, dass wenn ich die Regeln lerne... aber ich kann es nicht. Ich kann nicht. Ich will bloss nach Hause.»

Er versucht, das britische Konsulat in Istanbul zu erreichen. Auf dem Weg dorthin wird er erschossen.

Aneeka – die moderne «Antigone» – setzt alle Hebel in Bewegung, um den Leichnam in England zu bestatten. Legal darf Parvaiz aber nicht einmal tot über die Grenze.

Belastende Romanrecherche

Kamila Shamsie ist in Pakistan aufgewachsen und besitzt erst seit ein paar Jahren auch die britische Staatsbürgerschaft. Mittlerweile gehört sie zu den wichtigsten literarischen Stimmen auf der Insel.

«Die Arbeit an diesem Stoff hat mir enorm zugesetzt», sagt sie im Rückblick. Die Recherchen zum IS und dessen Rekrutierungsmethoden seien sehr belastend gewesen.

Zudem war sich Kamila Shamsie bewusst, dass die Überwachungsbehörde jeden Klick auf ihrem Computer registrieren. «Die Anti-Terror-Gesetze geben ihnen das Recht, uns Musliminnen und Muslime verstärkt unter die Lupe zu nehmen.»

Ohne Pass kein «Home Fire»

Zuvor hatte Shamsie jahrelang auf die Einbürgerung in Grossbritannien gewartet. «Es war eine ständige Zitterpartie.»

Sie habe immer damit rechnen müssen, dass die Bestimmungen gerade für Leute aus Südostasien doch wieder verschärft würden. «Ich hätte ich mich nie getraut, diesen heiklen Roman zu schreiben, solange ich den britischen Pass noch nicht hatte.»

«Home Fire» sorgte nach Erscheinen für viel Diskussionen. Der Roman gewann mehrere Preise: Zum Beispiel den «Woman’s Fiction Prize 2018» für das beste Buch des Jahres aus der Feder einer Frau.

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